Frank Zimmer

„Ich nutzte meine Chance“ – 7 Fragen an Franziskus Weinert

Ein Einzelhändler in 4. Generation, der das Internet nicht verflucht, sondern als Chance begreift und selbstbewusst mit den Großen konkurriert? Auch das gibt es im Welterbe-Tal. Franziskus Weinert von Hermann Schreib- + Spielwaren in Oberwesel führt ein Geschäft aus der Kaiserzeit mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts. 7 Fragen an einen Kaufmann und Kundenversteher.

Franziskus Weinert. Foto: Natalia Niño Infante.
Franziskus Weinert. Foto: Natalia Niño Infante.

Euer Geschäft gibt es in Oberwesel seit einer gefühlten Ewigkeit. Wann wurde es gegründet?

Wir sind in der Tat eines der ältesten, noch existierenden Geschäfte in Oberwesel. Gegründet von meinem Urgroßvater, dem Buchbindermeister Wilhelm Hermann, am 25. März 1899 ein paar Häuser weiter in der Liebfrauenstraße. Seit 1904 sind wir am heutigen Standort. Bis 1981 waren die Druckerei und das Einzelhandelsgeschäft ein Unternehmen. Zum Jahreswechsel erfolgte damals die Aufteilung: meine Mutter, Gisela Hermann-Weinert, übernahm das Geschäft und ihr Bruder die Druckerei. Die Druckerei war noch bis in die 90er Jahre in Familienbesitz. In all den Jahren wurde stetig erweitert und modernisiert. Zum 115. Firmenjubiläum am 25. März 2014 erfolgte die Betriebsübergabe an mich, so gesehen die vierte Generation.

Wann war dir klar, dass du es übernehmen willst?

Ich bin mit dem Geschäft aufgewachsen und habe auch als Kind oft mitbekommen, wie viel Arbeit meine Mutter hat. Als Kind war ich öfter im Geschäft und „habe geholfen“. Es gibt ein Foto, da sitze ich im Schaufenster inmitten von Plüschtieren und spiele mit der Playmobil-Eisenbahn. „Der Laden“ war auch immer ein Gesprächsthema. Kurzum: ich hatte eine Ahnung, was auf mich zukommen könnte. Meine Eltern haben keinen Druck ausgeübt und mich ausprobieren lassen. In Teenageralter entdeckte ich meine Begeisterung für die Fotografie. Die Arbeit im Medienbereich hatte mich besonders fasziniert. Dennoch wurde mir mit der Zeit klar, dass das Geschäft eine Zukunft hat. Ich erkannte das Potenzial, insbesondere den boomenden E-Commerce, und nutzte meine Chance.

Der Online-Handel setzt viele stationären Einzelhändler unter Druck. Was ist das Internet für dich: Fluch oder Chance?

Ganz klar: Chance. Welches andere Medium bietet einem Einzelhändler die Möglichkeit, sich und seine Produkte einem fast unbegrenzten Publikum zu präsentieren? In unserem Fall ist das Einzugsgebiet eigentlich nur ein Halbkreis, da der Rhein als natürliche Grenze fungiert. Gerade in Zeiten abnehmender Kundenfrequenz im stationären Handel ist es umso wichtiger, im Internet „stattzufinden“. Die Kunden sind dort unterwegs und möchten Informationen finden. Der „Trick“ ist es, online eine Nische zu bedienen, die von den „Kistenschiebern“ nicht bedient werden kann. Zum Beispiel der Kunde in Südfrankreich; er kennt uns erst mal nicht, sucht dann aber nach dem gewünschten Produkt und wird so auf uns aufmerksam. Viele Kunden aus der Region durchstöbern regelmäßig unser Sortiment online und kommen dann mit konkreten Wünschen ins Geschäft. Wer sich und seine Produkte/Dienstleitungen online nicht in einem vernünftigen Rahmen präsentiert, wird künftig auch nicht mehr real existieren können.

Du verstehst eine Menge von Digitalisierung. Weil du es irgendwo gelernt hast oder weil du es dir selbst beibringst?

In jungen Jahren habe ich mir neben der Fotografie auch das Programmieren autodidaktisch angeeignet. Ende der 90er Jahre wollte ich unbedingt eine eigene Homepage. Damals half mir mein Onkel mit den ersten Schritten. Doch dann stiegen die Ansprüche, und ich arbeitete mich immer tiefer in die Materie ein. Ich baute damals auch eine kleine Homepage, auf der ich Oberwesel präsentierte und später zusammen mit Patrick Federhen (heute weinland-mittelrhein.de) eine Homepage über den Mittelrhein. Das war ein Schülerprojekt ohne Budget. Wir informierten über die Orte und Veranstaltungen und übertrugen sogar zweimal „Rhein in Flammen“ aus Oberwesel live mit einem ruckelnden ISDN-Anschluss ins Internet. In dieser Zeit haben wir viel gelernt. Aber ich schweife ab. Um mein Wissen dann praktisch anzuwenden, programmierte ich für das Geschäft damals kleine Programme, welche zum Teil bis heute im Einsatz sein. Früher arbeiteten wir viel mit Papier, oft mit langen Excel-Tabellen und inkonsistenten Daten. Meine Mutter ließ mir immer freie Hand und hat mich einfach machen lassen. Auf jeden Fall hilft es mir heute ungemein, dass ich weiß, was möglich ist und wie Software funktioniert. Leider gibt es in unserer Region nur wenige Unternehmen, die genau das machen, was wir tun. Ich informiere mich regelmäßig zu Neuigkeiten und Trends in Blogs, Podcasts und Facebook-Gruppen. Auch der Austausch auf Messen und Tagungen hilft.

Du führst deinen Laden, du organisierst deinen Internet-Handel und du engagierst dich für den Freifunk und im Oberweseler Gewerbeverein. Wie lang ist ein typischer Arbeitstag von Franziskus Weinert und wie sieht er aus?

Einen typischen Arbeitstag gibt es nur bedingt. Nicht alle Projekte erfordern immer die gleiche Aufmerksamkeit. Mal findet man mich mehr im Geschäft, dann im Lager oder am Schreibtisch. Für mich ist es ein großer Vorteil, nicht weit weg vom Geschehen zu wohnen – manchmal etwas zum Leidwesen meiner Freundin ;-). Da ich im Nachbarhaus wohne, entfällt der „Anfahrtsweg“. Zum Glück mache ich ja das alles nicht alleine und kann auf viele zuverlässige Menschen bauen, mit denen ich tagtäglich zusammenarbeite. Ohne meine Mitarbeiter – insbesondere meine Mutter – wäre das Geschäft nicht zu bewältigen. Für den Online-Bereich arbeitet eigenes Personal. Auch für die Projekte, welche ich im Ehrenamt begleite, ist Teamwork das A und O. So beschäftige ich mich mit vielen Dingen gleichzeitig, setze aber Schwerpunkte, wenn es gerade für die Sache erforderlich ist. Natürlich ist es nicht so, dass wenn das Geschäft geschlossen ist, man auch Feierabend hat. Viele Dinge lassen sich meist nur nach Geschäftsschluss in Ruhe abarbeiten, daher variiert meine Arbeitszeit momentan zwischen zehn und zwölf Stunden.

Schon vor der Digitalisierung haben viele inhabergeführte Geschäfte im Mittelrheintal aufgegeben. Was muss geschehen, damit der lokale Einzelhandel für Unternehmer und Kunden wieder attraktiver wird?

Aus Kundensicht hat der stationäre Handel zwei unschlagbare Vorteile; das „Anfassen“ der Ware sowie die sofortige Warenverfügbarkeit. Gerade in der Kombination mit dem Online-Handel hat das für unsere Kunden viele Vorteile. Da wir die Artikel über verschiedene Verkaufskanäle anbieten, können wir mehr Ware vorrätig halten, und der Kunde im Geschäft vor Ort profitiert von der großen Vielfalt. Der Kunde kommt heute vorinformiert ins Geschäft, hat aber oft noch Detailfragen. Wenn er dann auf einen Mitarbeiter im Geschäft trifft, der sich auskennt und ihn beraten kann, ist das die halbe Miete. Außerdem möchte natürlich jeder fair behandelt und wertgeschätzt werden. In meinen Augen ist dem Kunden auch eine gute Kommunikation wichtig. Der Kunde erwartet schnelle und informative Antworten. Wie schon weiter oben erwähnt, ist der Online-Auftritt das Aushängeschild. Das sind die Basics. Wenn man es dann noch schafft, immer eine gleichbleibende Qualität zu liefern, dann wird der Kunde zum Fan und kommt wieder. Der Kunde ist von Amazon den perfekten Service gewohnt – da könnte sich der stationäre Handel manchmal eine Scheibe von abschneiden.

Als Unternehmer muss ich mich mit Themen auseinandersetzen, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Gerade wenn man alles ordentlich haben möchte, sind Themen wie das neue Verpackungsgesetz ab 2019, die aktuelle DSGVO und weitere Dokumentationen ein notwendiges Übel. Viel lieber würden wir uns mit unseren Kunden und Produkten beschäftigen. Aber auch die lokale Politik ist gefragt. In den letzten Jahrzehnten war die Devise, immer mehr Geschäfte auf der „grünen Wiese“ anzusiedeln, und heute wundert man sich, warum Innenstädte an Frequenz verlieren. Momentan investieren noch alle großen Ketten fleißig in ihr Filialnetz, dennoch bin ich mir sicher, dass es in absehbarer Zeit nicht mehr so viele Märkte braucht, und dann hat man auch Bauruinen außerhalb der Stadt.

Jetzt noch der Mittelrhein-Geheimtipp. Philipp Loringhoven aus Boppard hat hier neulich 2 interessante neue Kategorien eingeführt: Bester Platz für das erste Date und bestes Restaurant für den Hochzeitstag. Was empfiehlt Franziskus Weinert?

Mir gefällt die Koblenzer Altstadt sehr, besonders mit den vielen angrenzenden Wiesen und Parks und die hübsch gestaltete Uferpromenade. Das ganze Areal ist ein toller Ort fürs erste Date. Für das Feiern eines Hochzeitstages könnte ich mir das Restaurant Puricelli auf Burg Reichenstein über Trechtingshausen gut vorstellen. Was dort in der Kürze der Zeit auf die Beine gestellt wurde, ist wirklich beeindruckend.

Schlussredaktion: Natascha Meyer

Bisher in der Reihe „7 Fragen an ….“ erschienen:

Sebastian Busch (Landtagskandidat aus Lorch) – Christian Büning (Designer aus Oberwesel) – Sandra Bruns (Instagrammerin und Journalistin aus Emmelshausen) – Hasso Mansfeld (PR-Berater und Brücken-Aktivist aus Bingen) – Peter Theis (Gastronom und Shop-Betreiber in St. Goar) – Esther Pscheidt (Treibholzkünstlerin aus Lorch) – Wolfgang Blum (Wanderführer und Welterbe-Botschafter auf dem Rheinsteig) – Markus Fohr (Brauereibesitzer und Bier-Sommelier aus Lahnstein) – Christin Jordan und Lars Dalgaard (Journalisten und Winzer in Eltville und Oberdiebach) – Nadya König-Lehrmann (Welterbe-Managerin in St. Goarshausen) – Jörg Lanius (Winzer in Oberwesel) – Mario Link (Lebensmittel-Händler in Boppard) – Rolf Mayer (Kultur- und Event-Manager in Boppard) – Uwe Girnstein (Hotelier in Kamp-Bornhofen)  – Stefan Herzog (Tourismus-Berater und früherer Marketingchef für die Region Rheinhessen) – Horst Maurer (Welterber-Gästeführer aus Oberdiebach) – Gerd Ripp (Gastronomie-Unternehmer auf Schloss Rheinfels und Maria Ruh) – Niko Neuser (Kommunalpolitiker aus Boppard) – Christof A. Niedermeier (Krimi-Autor aus Frankfurt und Schöpfer von „Jo Weidinger“) – Stefan, Andreas und Markus Wanning (Gin-Macher aus Münster-Sarmsheim) – Christoph Bröder (Burgenblogger auf Sooeneck) – Hubertus Jäckel (Architekt aus Oberwesel) – Bernd und Marion Stahl (Gastronomen in Boppard) – Markus Hecher (Burgherr auf Rheinstein) – Timo Ahrens (Strandbar-Gründer aus Oberwesel) – Philipp Loringhoven (Kommunalpolitiker aus Boppard) – Carolin Riffel (Winzerin aus Bingen) – Sarah Hulten – Ex-Weinkönigin, Winzerin und Riesling-Influencerin aus Leutesdorf – Walter Mallmann (Politiker aus St. Goar)

Termine des Tages

Koblenz – Koblenzer Sommerfest zu „Rhein in Flammen“ – 10. – 12. August. koblenzer-sommerfest.de

Kaub – „Des Kaysers Bombardier“ / Soldat und Waffenhandwerk im Dreißigjährigen Krieg / „Authentische Vorführung „auf der Pfalz im Rhein- 12, August, 15 Uhr. tor-zum-welterbe.de

Bacharach – „Bacharachs Weinstuben gestern und heute“ / Stadtführung mit Welterbe-Gästeführer Horst Maurer. 12. August, 15 Uhr. Zweckverband Welterbe

Bacharach – Zettel’s Theater spielt „Hamlet“ von Shakespeare – 12. August, 18 Uhr. VG Rhein-Nahe

Oberwesel – „Himmelstränen“ mit Sopranistin Claire Lefilliâtre in der Liebfrauenkirche/ Rheinvokal – 12. August, 19 Uhr rheinvokal.de

Video des Tages: Rhein in Flammen

Rhein in Flammen 2018 #rheininflammen #braubach #feuerwerk #unterwegs #samstagabend

Ein Beitrag geteilt von Andrea Feth (@fethi_s_kreativbude) am

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