Mittelrheingold-Kolumnist Christian Büning liebt die Loreley, aber als Kommunikationsdesigner wundert er sich: Hat der bekannteste Felsen Deutschlands wirklich ein Image wie Toast Hawaii verdient? Ein Denkanstoß.
Man kann nie wissen, ob ein Kompliment ehrlich gemeint ist oder nur höflich. Vor dem Problem stehe ich bei jedem Hosenkauf, bei dem mir die Verkäufer wortreich versichern, dass es überhaupt nicht spannt im Bund. Wahre Zuneigung zeigt sich anders, zum Beispiel durch den Namen, den man Dingen gibt. In Namibia ist ein Berg mitten in einer der trockensten Gegenden der Welt und heißt Mount Lorelei. Der Oranje-River, der vor dem Berg herfließt und tatsächlich auch einen scharfen Knick macht wie der Rhein, führt nicht immer Wasser. Vielleicht ist das ja ein gruseliger Vorgeschmack auf das Schicksal des Rheins, wer weiß. Der Berg hat den Namen nach einem Felsen am Mittelrhein erhalten, der berühmt ist wie kaum ein zweiter in Deutschland oder sogar in der Welt.
Auch in der Botanik ist die Liebe für die Loreley sehr stark. Eine Pfingstrose »Lorelei« betört mit einer nicht beschreibbaren Farbe zwischen Dunkelpink und Purpur, eine Bartiris »Loreley« gefällt mit einem zartgelben Dom und einer violett geäderten Lippe mit vornehm weißem Rand. Loreley ist als Sortenname für eine Anemone, eine Dahlie, eine Funkie und sogar eine Weißtanne geschützt. Und natürlich nicht zu vergessen die Welterberose »Zauber der Loreley«, die tatsächlich zauberhaft ist. Ein Essener Schriftentwerfer hat eine sehr hübsche Schreibschrift herausgebracht unter dem Namen Lorelei. Jeder, der eine Nesthäkchen-Kassette zuhause hat, kennt diese Schrift. Am Jägersteig in der Nähe des Kaiserstuhls gibt es den Bildstein, der als die Loreley in Süddeutschland beworben wird. Die Loreley ist ein fester Begriff. Immer, wenn es um Anmut, Schönheit und Liebreiz geht, ist Loreley der richtige Name. Naming-Agenturen hätten ihn nicht besser schmieden können. Loreley ist international gut auszusprechen, braucht keine Sonderzeichen und klingt gut.
Die Loreley braucht ein dezentes Update
Und was haben alle diese Dinge gemeinsam, die den zauberhaften Namen Loreley tragen? Richtig: Sie sind nicht von hier. Der namibische Berg ist – wenig überraschend – in Namibia, die eingetragenen Pflanzensorten sind wahlweise in den USA oder in Tschechien als Sorte gezüchtet worden, die Schriftart Loreley kommt aus Essen. Was ich damit sagen will? Die Loreley zieht. Oder besser: Sie zog. Denn fast alle Eintragungen, die ich hier genannt habe, sind mindestens 30 Jahre alt, die meisten aus den 60er Jahren. Nur die Welterberose ist erst 13 Jahre jung.
Für eine Marke ist Alter nichts schlimmes. Nike ist 60 Jahre alt, sogar Fritz Cola als Marke ist schon 20 Jahre auf dem Markt und wirkt noch frisch wie ein Start-up. Marken leben von Assoziationen und Gefühlen, die man mit ihnen verbindet. Marlboro ist schon120 Jahre alt und war viele Jahre eine lange, dünne Zigarette mit pinkem Filter. Auf einem pinken Filter sieht man den Lippenstift nicht so. Aus dem Nischenprodukt wurde erst die Weltmarke, als man die Erzählung von »elegante Lady« auf »derber Cowboy« änderte. Offenbar wollten sehr viel mehr Leute auf der Welt ein derber Cowboy sein als eine elegante Lady. Ich wüsste, wie ich mich entschieden hätte. Die Zigarette bekam keinen anderen Tabak, sondern nur eine andere Filterfarbe und einen anderen Durchmesser. Das und eine riesige Kampagne lösten komplett andere Gefühle aus. Der Umsatz hat sich vermillionenfacht, alle haben sich in die Prärie geraucht und die Ladies mussten ihren Lippenstift woanders drauf drücken.
Ähnlich ist es mit der Loreley. Die ganze Liebe, die die Loreley weltweit erfährt, assoziiert mit der Loreley etwas Altes, eine uralte Sage aus der Vorzeit, etwas wagnerianisch Antikes oder bestenfalls etwas aus der Ära des Toast Hawaii, als es noch Fräuleins gab. Natürlich hat auch das seinen Charme, aber für meinen Begriff ist da eine kleine zeitliche Lücke von mittlerweile 70 Jahren, die nach einem dezenten Update verlangt.
Dürfte eine moderne Loreley eine Hose tragen?
Der Mittelrhein ist als Region ziemlich schwer zu greifen. Darum schreibe ich mir ja hier auch die Finger rund. Aber wenn es eine Figur gibt, die den Mittelrhein präsentiert und weltweit bekannt ist, dann ist es die Loreley. Und wenn diese Figur in den Köpfen der Leute das auslöst, was ein ehrwürdiges, aber altes und staubiges Buch auslöst, das man im Keller findet, dann färbt das unweigerlich auch auf die ganze Region ab. Natürlich würde am Mittelrhein niemand Bücher im Keller lagern, weil es hier keine Keller gibt, die trocken genug dafür wären. Aber das weiß man in Namibia ja vielleicht nicht oder in den USA. Ist ein Toast Hawaii das richtige Bild für die Region Mittelrhein? Ich bin mir nicht sicher, auch wenn eine Kirsche dabei ist.
Vielleicht wäre es ja Zeit, dass die Loreley nicht nur ihre Haare kämmt, sondern auch ihr Image. In den alten Sagen ist die Loreley einfach nur die Schöne, die mit gebrochenem Herzen singend auf dem Felsen sitzt und hauptberuflich als Ausrede für Kapitäne arbeitet, die ihren Kahn mal wieder auf Grund gesetzt haben. Die Frau wars, ich schwör!
Es ist natürlich immer wunderbar und erfüllend, die Schönheit der Frauen zu preisen, aber mittlerweile hat sich ja rumgesprochen, dass Frauen mehr können als Schönsein und nach Pfirsich duften. Wie sähe denn eine Loreley aus die das alte Sagenbild der Frau auf dem Felsen weiter entwickelt und sich von ihrem unpraktisch großen Kamm emanzipiert? Dürfte eine moderne Loreley eine Hose tragen? Oder kurze Haare haben? oder schwarze Haare? Oder Aishe heißen? Hat sie eine Kämm-App? Hat sie eine Stimme? Wie sähe die Sage der Loreley aus, wenn sie heute noch einmal neu entstehen würde? Wäre die Loreley eine verzweifelte Influencerin, die aus Instagram rausgeworfen wurde und jetzt aus Rache die alten Kapitäne auf Facebook mit irreführenden Hashtags ablenkt, die dann mit dem Handy in der Hand ihre Schiffe auf Grund setzen? Die Frau wars, ich schwör!
Eine Marke kann man weiter entwickeln, siehe Marlboro. Aber kann man eine Sagengestalt relaunchen? Ist das glaubwürdig? Wie wäre eine junge Frau heute drauf, die mit betrogenem Herzen den Kapitänen hinterher schaut? Sie würde sich die Haare kämmen. Und sich dabei filmen und einen Insta-Channel aufmachen, wo sie über Untreue, Männer und untreue Männer spricht und dass man sich nicht abhängig machen sollte und dass eine Mütze noch keinen Kapitän macht. Sie würde ihren Channel »Scheitelpunkt« nennen. Danach würde sie sich die Haare abschneiden, einen Fels über ihr Herz tätowieren lassen und Rafting-Touren auf dem Rhein anbieten oder sowas in der Art. Sie wäre eher ein derber Cowboy als eine elegante Dame. Die Loreley wäre nicht traurig, sondern wütend. Und stark. Und schön. Und ungekämmt. Und sie wüsste vielleicht, was es zu bedeuten hätte.
Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis gut eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Seit 2021 ist regelmäßiger Kolumnist bei Mittelrheingold. Danke, Christian!
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