Christian Büning

KI am Datenstrom

Christian Büning. Foto: Privat

Mit der Abkürzung KI verband man am Mittelrhein eher Touristen aus Kiel als „Künstliche Intelligenz“. Jetzt reden alle über die Technologie, die auf Kommando Texte schreibt, Bilder entwirft und ganze Filme dreht. Und das soll erst der Anfang sein. Mittelrheingold-Kolumnist Christian Büning erklärt, was es mit KI auf sich hat, an welcher Burg die Künstliche Intelligenz scheitert, wie sich unser Leben ändern wird und warum man im Welterbetal trotzdem entspannt bleiben kann.

Die ersten Computer waren so groß wie eine Wohnung und machten Lärm wie vier Pferde auf dem Blechdach. Die Leistung war für damalige Verhältnisse aberwitzig viel, heute hat jede Kaffeemaschine mehr Rechenleistung an Bord. Das Mooresche Gesetz war lange gültig, nachdem sich die Rechenkapazitäten der Prozessoren alle 12 bis 18 Monate verdoppelt haben. Seitdem ich Computer kenne, war dieses Gesetz ein Hoffnungsschimmer. Schnellere Rechner bedeuten mehr Tempo und weniger Sanduhren auf dem Bildschirm. Eines meiner frühen Photoshop-Dokumente war damals unfassbare 1,1 GB groß. Wenn ich es zwischenspeicherte, konnte ich in der Zwischenzeit einkaufen gehen. Beim Heimkehren war der Rechner gerade fertig mit Speichern, ich aber noch nicht fertig mit der Bildbearbeitung. Das Mooresche Gesetz war mein leuchtender Stern. Es kommen schnellere Rechner, bald musst du nicht mehr so oft einkaufen oder staubsaugen, während da irgendwas speichert. 

Mittlerweile sind die Rechnerleistungen derart gestiegen, dass auch sehr komplexe Operationen in lächerlich kurzer Zeit durchgeführt werden können. Mein Photoshop Dokument von damals würde heute in Echtzeit zwischenspeichern, ohne dass ich davon etwas mitbekommen würde. Und parallel würden Sicherheitskopien auf anderen Festplatten gespeichert, ohne dass der Rechner dadurch auch nur ansatzweise beschäftigt aussehen würde. Kraft erkennt man erst am Überschwang, also musste diese ganze verfügbare Rechenleistung genutzt werden. Auftritt KI. Künstliche Intelligenz. Ich sehe Cartoonisten zum Schreibtisch rennen und sarkastische Comics zeichnen, weil Intelligenz und Menschen, die sie benutzen wollen, einfach zu komisch sind. Das Mooresche Gesetz ist ein klein wenig bedrohlich geworden. 

Wo liegt nochmal die Rheinfels?

Ganz sauber ist der Begriff Künstliche Intelligenz ja nicht. Maschinelles Lernen wäre präziser, aber KI klickt halt geiler. Eigentlich macht eine KI nichts anderes als Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Wenn ich die KI-Software »Chat GTP« beauftrage, mir den Mittelrhein zu beschreiben, dann berechnet die Software die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Text mit dem Satz über die Lage innerhalb Deutschlands anfängt. Der entstehende Text ist schon nicht schlecht, allerdings gibt es noch kleine Unsicherheiten, ob die Rheinfels wirklich in St. Goar liegt oder nicht doch in Bacharach. Die KI konnte also offenbar nicht genügend Quellen finden, um eine Wahrscheinlichkeit zu berechnen, wo genau die Rheinfels jetzt final liegt. Immerhin am Mittelrhein und nicht irgendwo an der Elbe. Ist ja auch was. Das allerdings sind Kinderkrankheiten, die bald verschwunden sein werden. 

Wahrscheinlichkeiten zu berechnen ist am Mittelrhein kein großes Ding. Wenn man zwischen einem launischen Fluß mit schwankenden Pegeln und einer bröckelnden Felswand lebt, dann entwickelt man ein entspanntes Verhältnis zu Wahrscheinlichkeiten. Die Quellen für die Berechnung des nächsten Hochwassers waren über Jahrhunderte die Kälte des Winters, der Zeitpunkt der ziehenden Kraniche oder das Knie vom alten Kapitän Heinz. Es gab auch mal Ungenauigkeiten, aber das System hat sich selbst immer optimiert und in Summe verlässliche Voraussagen geliefert. Die Wahrscheinlichkeiten, dass eine Felswand in Bewegung kommen wird, wurden mit zusammengekniffenen Augen berechnet, Moos abgekratzt, Bäume beobachtet und der Herrgott als Variable in die Gleichung eingebaut. 

Die KI kann Mittelrhein

Die KI kann sogar über Themen hinweg Bezüge herstellen oder Tonalitäten anpassen. Wenn ich Chat GTP beauftrage, mir einen kurzen Werbetext über Schieferweinbau zu erstellen, der im Stil einer Durchsage am Bahnhof geschrieben sein soll, dann bekomme ich diesen Text innerhalb von Sekundenbruchteilen – exakt in der Tonlage wie gefordert. »Bitte beachten Sie, dass die Distanz zwischen Füllhöhe und Eichstrich größer ist als erwartet.« Rechenleistung und so. Auch das gib’ts am Mittelrhein schon lange. Ich war zufällig dabei, als zwei Frauen am Rhein entlang gingen und sich in breitestem Platt unterhielten. Ein Tourist fragte sie nach dem Weg und ohne Übergang, mitten im Wort, wechselten die beiden Frauen ins Hochdeutsche und gaben ihm die Wegbeschreibung, perfekt auf die Bedürfnisse einer Person abgestimmt, die sich nicht auskennt und weiß wo Beckers Haus ist, wo man links rein muss. Hannoveraner würden jetzt protestieren und sagen, dass das kein Hochdeutsch war, aber ich nenne es Hochdeutsch mit Schuss, so wie Kir Royal. 

KI kann aus allen Daten, die sie bekommen kann, etwas Neues erstellen oder bestehendes optimieren. Selbst während ich diesen Text schreibe, schlägt mir eine KI permanent vor, wie meine Grammatik in richtig ginge und dass man Grammatik mit zwei m schreibt. Danke auch. Wer wird nicht gerne korrigiert. Die KI wird sehr viele Berufe massiv verändern. Alle Tätigkeiten, die aus Analyse und Konzeption bestehen, werden mit der Geschwindigkeit und der Datenmasse einer KI schwer mithalten können. Auch Designer werden sich gehörig umschauen, wie schnell eine KI Logo-Varianten erstellt hat bevor ich überhaupt Photoshop geöffnet habe. Aber es entstehen auch neue Berufsfelder. Irgendjemand muss diese Zaubermaschine ja auch einbetten und wissen, wie man sie bedient. Und irgendjemand muss das, was da rauskommt bewerten und gewichten. Da helfen Wahrscheinlichkeiten nur bedingt weiter, weil der Mensch gerne überrascht wird und weil die Gedankenketten von Menschen nicht immer die gleiche Logik haben wie die eines Computers. Eine Überraschung ist schwer in Formeln zu packen – zumindest noch nicht. 

„Aber Halt! Revolution? Mittelrhein?“

Eine KI wird auch alles beeinflussen, wo Material oder Energie bewegt wird. Also die Schifffahrt oder die Stromerzeugung. Sie wird berechnen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach bald Strom benötigt wird und die Produktion passend hochfahren. Sie wird Logistik optimieren und Leerfahrten verhindern. Es wird in dem Sinne keine echten Informationsquellen mehr geben, weil eine Nachrichtenseite für jeden Besucher eigene, von der KI erstellte Texte ausspielen kann, je nach Temperament. Die ruhigen, sachlichen Leser bekommen ruhig und sachlich formulierte Texte. Die hitzigen bekommen den gleichen Inhalt auf der gleichen Seite in hitzig formuliert, weil es besser klickt. Beide beziehen sich auf ihre Nachrichtenquelle, die aber nicht mehr einheitlich für jeden ist. Und das ist nur der Anfang der Möglichkeiten. Nach der Digitalen Revolution wird noch in derselben Generation die nächste tiefgreifende Umwälzung alles umsortieren. 

Aber Halt! Revolution? Mittelrhein? Da war doch was. Hatten wir schon, haben wir kommen und gehen sehen. Haben Wein getrunken und auf den Rhein geschaut. Haben den Datenstrom verarbeitet und passend gemacht. Haben für jeden die passende Antwort formuliert und die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass der Rhein auch morgen noch fließt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die künstliche Intelligenz aus einer rheinischen Frohnatur einen übellaunigen Motztroll macht, ist wahrscheinlich geringer als die Wahrscheinlichkeit, dass das Ende des Schieferbaus oder die Reblaus die Stimmung verderben konnten. Eins kann ein Computer nicht – egal wie hoch seine Rechenleistung auch ist: Am Dienstag Nachmittag zu sagen »Ach heb mich doch hinnerum«, die Maschinen runter zu fahren und den Tag am Rhein zu genießen. 

Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis gut eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Seit 2021 ist er Kolumnist bei Mittelrheingold. Danke, Christian!

Bisher erschienen:

Winterpause? (über eine unterschätzte Jahreszeit)

Mostmajestäten vom Mittelrhein (über eine verpassre Gelegenheit)

Römer macht schöner (über ein unterschätztes Weinglas)

Häuser mit Zukunft (Warum historische Ortskerne wieder modern werden)

Der Mittelrhein im Nebel (über Astronauten und Kirchtum-Politiker)

Was zur Hölle ist eigentlich Schiefer? (über das Mittelrheinischste aller Materialien)

Bis dahin fließt noch viel Wasser denn Rhein runter (über Hungersteine und Niedrigwasser)

Was macht die Welt mit der Loreley? (über das Image der bekanntesten aller Mittelrheinerinnen)

Was die Abladeoptimierung Mittelrhein mit einem wackligen Tisch zu hat (über die Vertiefung der Mittelrhein-Fahrrinne)

Blühende Schleifenlandschaften – die heimliche Blume von Boppard (über Iberis linifolia subsp. boppardensis und was man damit anstellen könnte

Lonely Places oder die heimlichen Stars am Mittelrhein (über Orte, die selbst Einheimische nicht kennen)

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Grenzenlos gut (über eine Mittelrhein-Grenze, die jederzeit ignoriert werden muss)

Ein Dach ohne Gaube ist ein Irrtum (über das Paradies der Ecken, Winkel und Dachgauben)

Was ist schon Zeit? (über Zugfahren am Mittelrhein)

Eine Ziege, ein Kohl und ein Wolf (über Brücken und Fähren)

Gude, Moin und Guten Tag (über die Kunst des richtigen Grüßens)

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