Wenn das angestaubte Modell „Weinkönigin“ wieder glänzen soll, braucht es mehr als die Formulierung „mänlich/weiblich/divers“ im Bewerbungsaufruf. Es muss klar werden, was ein männlicher oder non-binärer Kandidat bedeutet, wie sich die Rolle verändert und was für eine Chance darin liegt. Ein Einwurf von Mittelrheingold-Kolumnist Christian Büning.
Etwas zögerlich, aber zielstrebig geht die junge Elizabeth im Jahr 1952 auf den Thron im Westminster Abbey zu. Einen schweren Umhang mit Hermelinkragen, eine 2,25-Kilo-Krone mit 444 Edelsteinen und Perlen auf dem Kopf und einen Reichsapfel und Zepter aus Gold in den Händen. Ab jetzt ist sie Königin von Großbritannien und Nordirland und dem Commonwealth. Sie ist nicht die erste Frau auf dem Thron, aber es ist immer noch eine Nachricht, welches Geschlecht gerade drauf sitzt. Eine Frau als Königin und das in diesen Zeiten? Noch dazu eine so junge Frau? Kann die das überhaupt? Und was ist, wenn’s um Politik geht? Kann man sie alleine Reden schreiben lassen?
Elizabeth hatte den Vorteil, auf Queen Victoria als Vorbild zurückgreifen zu können. Das Protokoll gab’s also schon für beide Geschlechter und alle hatten Zeit, sich vorzubereiten. Einige haben noch Jahre später »God save the King« gesungen, so wie jetzt noch einige eine Weile brauchen, bis sie diesen Text wieder singen. Anders als Elizabeth, die durch ihre Geburt zumindest indirekt als Königin vorgesehen war, werden viele Königinnen gewählt oder ernannt. Für jedes Gemüse, für jedes Obst gibt es eine Königin. Vom Spargel über Kartoffeln bis zur Birne – es sind genug Kronen für alle da. Die Verbindung von einem Gemüse zu einer jungen Frau ist nicht direkt selbsterklärend, aber sie funktioniert offenbar so gut, dass viele Orte sie gerne und händeklatschend übernommen haben. Ich bin mir auch unsicher, ob eine Spargelkönigin tatsächlich in ihrem Spargelreich etwas zu sagen hat oder eine Kartoffelkönigin sich durch kluge Rechtsprechung hervorheben kann.
Tatsächlich ist für diese Königinnen wichtiger, dass sie das erfüllen, was die Jury für charmant hält und dazu natürlich gestählte Unterarme haben, um stundenlang von Fuhrwerken zu winken. Kutschen, Cabrios, Weinfässer – Königinnen müssen winken winken winken, damit jeder einzelne Zuschauer bewunken wurde und keiner unbewunken bleibt. Am Mittelrhein gab es viele Kirschköniginnen und natürlich jede Menge Weinköniginnen. In wenigen Orten gab es auch Weinhexen, um das schaurig-Schöne aus der Rheinromantik zu pflegen. Die Kriterien für die Wahl waren streng. Eine Weinkönigin musste eine Winzerstochter sein, mindestens drei Sprachen sprechen und unverheiratet sein, was als verblümte Forderung nach Jungfräulichkeit zu verstehen ist. Was Jungfräulichkeit mit vergorenem Traubensaft oder mit der Fähigkeit zum Winken zu tun haben sollte, erschließt sich nicht auf Anhieb, aber es waren verrückte Zeiten. Die Frauen innerhalb dieser Schnittmenge wurden immer weniger, sodass die Kriterien nach und nach gelockert wurden und es mittlerweile vollkommen ausreicht, eine Frau und volljährig zu sein.
Und selbst diese Kriterien wurden über den Haufen geworfen, als die Mittelrhein-Weinwerbung zur Kandidatur für das Amt der Mittelrheinweinhoheit (mwd) aufrief. MWD heißt in diesem Fall eindeutig nicht männlich, weiß, deutsch, sondern war in der originalen Bedeutung gemeint – männlich, weiblich, divers. In manchen Formularen auf Internetseiten, die ich mir mit Google übersetze, wird aus divers manchmal das Geschlecht »Taucher«, was der Kategorie eine überraschende neue Ebene hinzufügt.
Zurück zum Weinkönig. Kann ein Mann das überhaupt? Kann man den alleine ans Mikro lassen? Kann er so lange winken? Kann er hinten im Cabrio sitzen? Und was ist, wenn’s um Politik geht? Fragen über Fragen – die alle mit auf das Boot gingen, wo die neue Weinmajestät vom Mittelrhein gewählt werden sollte.
Heute ein König
Es gibt kein Protokoll für diese Situation. Es gibt keine Erfahrung. Eine Weinkönigin trägt ein Diadem oder ein Krönchen und was bodenlanges. Aber was trägt ein Weinkönig? Eine 2,25-Kilo-Krone? Eine Schärpe? Einen Reichsapfel oder besser eine Reichsknorze aus Gold? Ein goldenes Weinphone? Man kann nirgends nachsehen, die Gelehrten sind stumm. Erst das möglicherweise andere Geschlecht macht deutlich, wie eng das Amt der Weinkönigin auf die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit zugeschnitten ist. Gut frisiert, lächelnd und winkend, wenig Redeanteil, kein Stimmrecht. War ja immer so, hat auch bei der Karottenkönigin und bei der Erdbeerkönigin nicht gestört. Ein Mann, der gut frisiert ewig lächelnd winkt und wenig Redeanteil hat, der wirkt befremdlich und etwas unreif. Was für eine Königin vollkommen ok war, wäre für einen König schräg. Erst der Wechsel macht die Rollenbeschreibung sichtbar und zeigt die Lücke.
Die junge Queen Elizabeth wurde anfangs nicht als eigenständige Regentin wahrgenommen, sondern über Churchill definiert, mit dem sie sich eng beriet. Erst die Autorität Churchills beruhigte die Presse, dass die junge Frau nicht in einem unbedachten Moment das United Kingdom im Supermarkt vergisst oder den Commonwealth beim Canasta verzockt. Bleibt ruhig, da ist ja ein Mann direkt daneben, der mitdenkt. Elizabeth hat ihre Form und ihre Sprache schnell gefunden, auch innerhalb des engen Protokolls. Sie trug die Farben Europas beim Brexit-Referendum und drückte mit der Wahl ihres Schmucks diskret aber sichtbar aus, wenn sie jemanden unwichtig fand. Männer haben hier tatsächlich viel weniger Ausdrucksmöglichkeiten, gleichen das aber dafür meist mit mehr Redeanteil aus.
Diese Chance ist vertan
Die Weinwelt und der Mittelrhein wären reif gewesen für einen Weinkönig, wenn ich die Reaktionen alle zusammenzähle. Die Jury war es offenbar nicht. Diese Chance ist vertan und wird nicht wieder kommen. Vermutlich wird eine andere Weinregion den ersten Weinkönig Deutschlands stellen und damit ordentlich Aufsehen erregen. Der Mittelrhein könnte das nur toppen, indem die Region die erste nonbinäre Weinmajestät stellt, aber die Wahrscheinlichkeiten dafür dürften noch geringer sein als dass ich spontan einen Marathon laufe.
Jetzt gibt es am Mittelrhein eine neue Königin, Verena Schwager, dazu zwei Prinzessinnen und einen Prinzen. Verena Schwager startet ihre Amtszeit mit der Besonderheit, dass sie sich das Amt energischer erobern muss als andere und die Diskussion über die Wahl erst noch verhallen muss. Vielleicht ist ja die Zeit gekommen, das Amt neu zu definieren. Niemand will das Winken reduzieren, das ist gelebte Tradition. Aber vielleicht ist es Zeit, aus dem Repräsentationsamt eine echte Regentschaft zu machen. Eine mit Gestaltungsräumen und Einfluss auf die Geschicke des Weinbaus und des Weingenusses. Queen Elizabeth würde der Jury lächelnd die Hände schütteln, eine Schnecke als Brosche tragen und sich danach daran machen, die Steillage für die Zukunft zu rüsten.
Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis gut eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Seit 2021 ist er Kolumnist bei Mittelrheingold. Danke, Christian!
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Also unsere Partnerstadt, Partnerstadt von Bacharach in Belgien, Overijse. Ist ein anderen Weg gegangen, vor Jahren gab es Bewerbungen aus ganz Belgien um die Krone der Traubenkönigin. Die Traubenkönigin, Overijse ist bekannt durch die Erzeugung von Tafeltrauben. Es gab ein Auto plus Versicherung. Nun werden kleinere Brötchen gebacken und schon gab es kaum noch Bewerberinnen.
Man musste andere Wege gehen, also wurde der Titel gestrichen, es gibt jetzt ein Botschafter, ein Traubenbotschafter und es ist ganz egal ob männlich, weiblich oder wie auch immer, zur Zeit ist der Traubenbotschafter schwul. Heute ist es eben kein König mehr, sondern als Botschafter eher ein Diplomat.
Dies passt auch viel besser in die heutige Zeit.