Schleifen? Kennen wir. Zum Welterbegebiet gehören die Rheinschleifen im Tal und die Traumschleifen eine (Wander-)Etage höher. Es gibt aber auch – Achtung, kein Aprilscherz – die passende Blume dazu, die im Bopparder Hamm sogar eine eigene Unterart ausgebildet hat: Die Bopparder Schleifenblume. Mittelrheingold-Kolumnist und Freizeitgärtner Christian Büning erklärt, was es damit auf sich hat und was man aus „Iberis linifolia subsp. boppardensis“ machen könnte.
Ich gebe es zu, ich habe eine ausgeprägte Schwäche für absurde Superlative. Gerade im Regionalmarketing tauchen sie gehäuft auf, zum Beispiel in Perlen wie dieser: „Eine der höchsten bewaldeten Erhebungen im mittleren Vorderhunsrück!“ oder „Besuchen Sie die größte Kalksandsteinhöhle mit Quarzeinschluss nördlich des Ruhrgebiets!“ Wenn du keinen Spitzenplatz hast, dann bist du einfach auf der falschen Liste, so einfach geht das. Du machst einfach eine neue Liste auf und da bist du dann ganz oben. Ich war bei den Bundesjugendspielen nicht der letzte beim 400-Meter-Lauf, nein ich war sehr weit oben platziert bei den Läufern über 190 cm mit neongelben Schuhbändern!
Neben diesen Scheinsuperlativen fallen echte Superlative durch Schlichtheit auf, denn sie benötigen viel weniger Worte. „Der schrägste Weinberg“, „Der längste Fluss“ oder „Das einzige Vorkommen“ – das sind Superlative, die keine Einschränkungen brauchen, die sind nicht nur lativ, die sind superlativ! Was so ein echter Superlativ ist, der braucht keine Orden und Dekorationen. Vielleicht nur eine Schleife.
Die gewöhnliche Schleifenblume wächst überall, wo es trocken und mager ist. Sie ist mit unserem Kohl verwandt und macht hübsche weiße Blüten, zart rosa überhaucht. Die vier Blütenblätter sind nicht gleich groß, sondern in zwei große und zwei kleine aufgeteilt. Dadurch entsteht eine sehr dekorative Einzelblüte, die allerdings selten einzeln wahrgenommen wird. Wenn die Schleifenblume blüht, dann in dicken Trauben, als ob sie irgendwem was beweisen will. Auch sehr kurzsichtige Hummeln finden dann die weiße Nektarbar. Die gartenfanatischen Briten nennen sie liebevoll candytuft, frei übersetzt mit Bonbonbüschel.
Menschen hingegen nehmen Schleifenblumen in der Regel nicht als spektakulär wahr, egal ob mit oder ohne Brille. Die Blüten sind zwar strahlend hell, eigentlich sogar heller als weiß, denn sie haben einen UV-Reflektor, mit denen sie alles Sonnenlicht zurückwerfen können. Allerdings wachsen sie insgesamt so niedrig, dass man sie beim Wandern nur beiläufig als Kraut wahrnimmt. Die kleinen frisch grünen Kissen, etwa knöchelhoch, drängen sich nicht so auf. Disteln haben das zum Beispiel besser gelöst- Sie wachsen bis auf Brusthöhe und zeigen dann ihre absurd schönen Blüten in allen möglichen Pinktönen. Wer guckt da noch nach unten?
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Manchmal lohnt es sich aber, genau hinzusehen. Die Rheinschleife beim Bopparder Hamm beherbergt eine ganz eigene Schleifenblume, die auf den schönen Namen Iberis linifolia subsp. boppardensis hört. Diese Unterart kommt nur hier im Bopparder Hamm vor und sonst nirgends im Universum. Man hat überall nachgeschaut, aber wirklich nur in Boppard welche gefunden. Eine Rheinschleifenschleifenblume also.
Diese Unterart mag es trocken und warm, ist alles andere als weit verbreitet und sehr selten. Sie ist auf der Roten Liste der sehr seltenen Arten gelistet, da wo auch das Mittelrhein-Wassertaxi steht oder der Lärmschutz der Bahn. Botaniker:innen flippen aus, weil die Bopparder Schleifenblume nicht ganz glatte Blattränder hat, sondern zwei kleine Zähnchen auf den Blättern. Eins links, eins rechts. Wenn es dumm läuft, beißt die Bopparder Schleifenblume mit diesen Zähnchen bald ins Gras und verdient sich einen eigenen Superlativ, nämlich dass sie die seltenste ist – ganz ohne Einschränkungen. Und kurz danach kommt dann der Superlativ „ausgestorbenste“ dazu, was ja genau genommen nicht so super ist.
Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung wurden noch 1200 Exemplare am Hamm gezählt. Bei der letzten Zählung im Jahr 2019 waren es nur noch 27 der kleinen Racker. Jedes Jahr sind also ungefähr 40 Schleifenblumen verschwunden. Wenn das in den letzten Jahren so weiter ging, dürfte für diese botanische Praline in Boppard das Licht schon ausgegangen sein. Intensive Nutzung der Weinberge, Spritzmittel, Verbiss durch die immer noch viel zu hohen Wildbestände und vielleicht einfach nur Pech setzen ihr zu. Schachmatt. In ein paar botanischen Gärten gibt es noch Sicherungs-Exemplare für alle Fälle, aber am Naturstandort ist die Bopparder Schleifenblume dann nur noch eine kleine Blume in der Erinnerung.
Ich tu mich immer etwas schwer, den Nutzen eines Lebewesens hervorzuheben, um Gründe zu haben, es vor dem Aussterben zu retten. Als würde man den Opa nur noch am Leben lassen, weil er einem die Pakete annimmt, wenn man nicht zu Hause ist. Das ist etwas kühl und am Ende doch wenig herzlich. Was machen dann die Arten, von denen wir direkt keinen Nutzen haben wie etwa Hornmilben oder Nacktmulle? Können die weg, weil sie nicht essbar sind? Zum Glück hat die Schleifenblume was auf dem Kasten, um diese ungute Diskussion zu umschiffen.
In der Winzerküche geht es gerne deftig zu, um nach harter Arbeit im steilen Weinberg wieder zu Kräften zu kommen. Sich nach der Lese im Steilhang den Bauch mit Essen voll schlagen zu wollen und anschließend wohlig erschöpft ein Glas Wein zu genießen ist ein sehr nachvollziehbarer und regelmäßig erprobter Vorgang. Ein Vorgang, der gerne in einem gewissen Völlegefühl endet. Passenderweise wächst das Kraut gegen Völlegefühl gleich mit auf dem Weinberg. Schleifenblumen schmecken sehr bitter und aktivieren damit die Verdauungssäfte an so wie ein hochgehaltenes Brötchen Möwen aktiviert. Die Bitterstoffe helfen bei trägem Darm, unzumutbaren Blähungen und nach der Völlerei, sie schleifen das Essen durch die Eingeweide, wenn man so will. Die Schleifenblume ist also nicht nur hübsch mit ihren fast weißen Blüten, sondern weiß auch, sich nützlich zu machen.
Warum nicht den Anbau wagen und einen wirklich regionalen Magenbitter davon anbieten? Bei Knoten im Magen hilft die original Bopparder Magenschleife! Ein Grund mehr, sie nicht vollends auszurotten. Damit der Bopparder Hamm noch lange mit seinen ganz eigenen Schleifenblumen auf die Rheinschleife schauen kann.
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Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis gut eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Seit 2021 ist regelmäßiger Kolumnist bei Mittelrheingold. Danke, Christian!
Bisher erschienen:
Lonely Places oder die heimlichen Stars am Mittelrhein (über Orte, die selbst Einheimische nicht kennen)
Gänse im Anmarsch (über die nervigsten aller Mittelrhein-Touristen)
Grenzenlos gut (über eine Mittelrhein-Grenze, die jederzeit ignoriert werden muss)
Ein Dach ohne Gaube ist ein Irrtum (über das Paradies der Ecken, Winkel und Dachgauben)
Was ist schon Zeit? (über Zugfahren am Mittelrhein)
Eine Ziege, ein Kohl und ein Wolf (über Brücken und Fähren)
Gude, Moin und Guten Tag (über die Kunst des richtigen Grüßens)
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Grossartig geschriebener Text! Danke!