1999 eröffnete Sabine Martin ihren Feinkostladen in der Binger Salzstraße. Eine Einzelhändlerin aus dem letzten Jahrhundert ist sie trotzdem nicht. Martin baute frühzeitig eine digitale Filiale bei Ebay auf und hält per Facebook und Instagram Kontakt zur Kundschaft. In der Corona-Krise hilft ihr das, und sie braucht es auch: Ihr Fachgeschäft „Kaffee & Feinkost“ durfte wegen der Lebensmittel zwar geöffnet bleiben, aber die Laufkundschaft fehlt. Warum Sabine Martin nie eine reine Online-Händlerin sein will, erzählt sie im Interview mit Marie-Luise Krompholz.
Frau Martin, wie sind Sie bisher durch die Pandemie gekommen?
Im Unterschied zu den meisten Einzelhändlern konnte ich meinen Laden immer offenhalten, weil ich hauptsächlich Lebensmittel verkaufe. In meinem Laden gibt es Kaffee- und Teespezialitäten, Süßigkeiten und Weine aus Bingen, lose Pralinen, feine Gewürze aus aller Welt, Nudeln und Pestos, dazu Grußkarten und ausgewählte Geschenkartikel. Insofern geht es mir besser als vielen anderen. Aber es kommen natürlich viel weniger Kunden, das Geschäft mit Touristen ist komplett weggebrochen und es gibt kaum Laufkundschaft. Auch einige Stammkunden sind wegen Corona sehr vorsichtig und trauen sich nicht mehr zum Einkaufen in die Stadt. Wir haben eine kleine Kaffee-Ecke in unserem Laden, wo man sich zu einem Gespräch hinsetzen kann, die ist seit Monaten verwaist. Die persönlichen Begegnungen, das Zwischenmenschliche, das fehlt mir sehr.
Wie hat sich das Kundenverhalten in den letzten Monaten verändert und wie reagieren Sie darauf?
Die wenigen Kunden, die ins Geschäft kommen, freuen sich über das liebevoll zusammengestellte Sortiment. Ich würde sogar sagen, sie kaufen glückseliger ein. Sie nehmen sich Zeit zum Stöbern und geben mehr Geld aus. Aber das fängt die Umsatzeinbrüche bei weitem nicht auf, deswegen stecke ich viel Energie ins Online-Geschäft.
Auf welche digitalen Kanäle setzen Sie?
Ich habe einen Online-Shop bei Ebay, den habe ich auch auf meiner Website eingebunden. Hier biete ich eine kleine Auswahl von Artikeln an. Am besten laufen die Geschenkkörbe, die man in verschiedenen Preisklassen ordern kann. Wenn ein Kunde einen Präsentkorb übers Internet bestellt, rufe ich ihn an und frage nach seinen Wünschen: für wen soll er sein, welche Vorlieben hat der Schenker, welche der Beschenkte, und was man sonst noch wissen muss für einen individuellen und mit Liebe zusammengestellten Präsentkorb. Das ist aufwendig, aber das macht mich und mein Geschäft besonders. Mir ist es am wichtigsten, meine Kunden glücklich zu machen, egal auf welchem Weg sie zu mir kommen! Viele Online-Besteller sind total überrascht, wenn ich anrufe und sie merken, dass ein echter Mensch am anderen Ende der Leitung ist und ihren Auftrag mit Leib und Seele erfüllen will.
Früher hatte ich auch einen Online-Shop bei Rakuten, der lief sehr gut. Im letzten Herbst hat Rakuten kurzfristig seinen Online-Marktplatz für kleine Händler eingestellt und so ist mir viel vom wichtigen Weihnachtsgeschäft verloren gegangen. In den letzten Monaten habe ich Social Media sehr stark genutzt. Über Facebook habe ich viele neue Kunden gewonnen und bleibe mit meinen Stammkunden in Kontakt.
Sie schreiben sich Ihren Corona-Frust, aber auch schöne Momente, jeden Tag auf Facebook und Instagram von der Seele. Warum lassen Sie die Öffentlichkeit daran teilhaben?
Das ist für mich eine Chance, die Verbindung zu meinen Kunden zu halten. Einige sitzen einsam und traurig zuhause, die möchte ich aufheitern und ihnen eine Perspektive außerhalb ihres Wohnzimmers zeigen. Es ist aufwendig, jeden Tag etwas Neues vorzustellen, Fotos zu machen und Texte zu schreiben. Oft komme ich erst spätabends oder nachts zum Posten. Aber es macht mir viel Spaß und ich fühle mich auch meinen Kunden gegenüber verpflichtet, ihnen eine Freude zu machen – wenn es nicht persönlich geht, dann auf diesem Weg.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie zu ihrem Engagement auf Social Media?
Die Posts kommen sehr gut an, viele warten täglich auf meine Berichte vom „Tagebuch aus dem Lockdown“. Das sind mal Erlebnisse aus dem Laden, mal schreibe ich über meine Gefühle, mal stelle ich ausgewählte Artikel vor. Besonders gut gefallen den Leuten zum Beispiel die Fotos vom Gesichter-Porzellan, das sind Tassen und Schalen mit lächelnden, wütenden, traurigen Gesichtern – sie drücken die Gefühle aus, die die Menschen gerade empfinden.
Können Sie sich vorstellen, hauptsächlich online zu verkaufen?
Ich bin schon seit 2005 im Internet aktiv und auch ein bisschen stolz darauf, dass ich so frühzeitig ins Online-Geschäft investiert habe. Im Lauf der Jahre habe ich viel gelernt, gute und weniger gute Erfahrungen gemacht, und bin sozusagen mit dem Online-Handel mitgewachsen. Das macht sich jetzt bezahlt.
Für mich ist die Kombination aus Laden- und Online-Geschäft der richtige Mix. Nur Verkaufen über den billigsten Preis im Internet, das will ich nicht. Ich lebe meinen Laden und will die Menschen mit meinem besonderen Mix aus persönlich ausgesuchten Artikeln inspirieren und berühren. Gerade jetzt sehe ich, dass das Emotionale doppelt und dreifach zählt, und dafür bekomme ich viel Wertschätzung von meinen Kunden.
Wie aufwendig ist es als „kleine Einzelhändlerin“, gleichzeitig stationär und online präsent zu sein?
Das ist ziemlich viel Arbeit und ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass er mich mit all seiner Kraft und Liebe unterstützt. Für den Laden habe ich eine tolle Angestellte, aber alles rund ums Internet mache ich selbst. Um das stationäre und das Online-Geschäft besser zu verknüpfen, nehme ich gerade an einem Pilotprojekt zu einem neuen Kassensystem für kleine Einzelhändler teil. Wenn es klappt, müssen wir neue Ware dann nur noch einmal erfassen und können sie im Geschäft oder online verkaufen und es wird automatisch im System verbucht. Das wird uns die Arbeit hoffentlich bald erleichtern und noch mehr Online-Umsatz bringen.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Corona einigermaßen im Griff ist?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, für mich zählt das Heute und wie ich diesen Tag zu einem guten Tag für die Menschen um mich herum mache. Ich koche sehr gerne und wenn ich mit meinem Mann bei einem leckeren Abendessen den Tag Revue passieren lassen kann, dann macht mich das zufrieden und glückselig.
Marie-Luise-Krompholz hat während der Pandemie noch weitere Macherinnen und Macher am Mittelrhein interviewt. Bisher erschienen:
- Carl Woog über ehrenamtliches Engagement in Bingerbrück
- Heike Tharun über Wandern und Selbsterfahrung am Mittelrhein
- Schwester Philipp Rath über ihr Kloster und die Corona-Krise
- Thomas Feser über die Binger Verwaltung in der Pandemie
- Sarah Piller über Kulturmanagement am Mittelrhein
- Elke und Janine Bolland über die Zukunft des Günderodehauses
- Cora und Marco Hecher über ihr neues Sooneck-Projekt
- Kai Climenti über sein Rüdesheim-Startup „Walk Like a Local“
- André Choquet über den Jo-Jo-Lockdwown am Binger Kulturufer
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