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Die neue Netzwerkerin: 7 Fragen an Sarah Piller

Kunst und Kultur kamen im Lockdown als Erstes unter die Räder. Für die neue Welterbe-Kulturmanagerin Sarah Piller ein Grund mehr, kreative Menschen im Tal zu vernetzen und den Wiederaufbau anzugehen. In Teil 5 der Interview-Reihe von Gastbloggerin Marie-Luise Krompholz spricht sie über ihren Start unter Corona-Bedingungen, neue Kultur-Routen und die Entstaubung der Rheinromantik.

Sarah Piller ist seit Oktober Kulturmanagerin des Zweckverbandes Welterbe in St. Goarshausen. Foto: Privat.

Sarah, du bist die erste Kulturmanagerin im Welterbetal. Was willst du erreichen? 

Kunst und Kultur sind ganz wesentliche Faktoren, um die Region insgesamt zu stärken. Hierfür möchte ich das Bewusstsein schärfen und die verschiedenen Akteure stärker miteinander vernetzen. Vor Ort setzen sich ja bereits zahlreiche Menschen für Kunst und Kultur ein: Mitarbeitende in Kommunen, Veranstalter, Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende, ehrenamtliche Akteure und viele mehr. 

Als hauptamtliche Kulturmanagerin ist eines meiner wichtigsten Ziele, diese Personen und Gruppen in Kontakt zueinander zu bringen, damit Manpower, Kreativität und Energien gebündelt werden können. Dafür ist auch wichtig, dass sich alle Akteure und Anbieter als Teamplayer verstehen, die ihre jeweiligen Stärken einbringen und gemeinsam das Obere Mittelrheintal mit Kultur und Leben füllen wollen. 

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus? 

Kommunikation ist – fast – alles. Seit dem zweiten Lockdown besteht mein Arbeitsalltag im Wesentlichen darin, dass ich etwa ein Drittel des Tages telefoniere oder in Videokonferenzen bin, ein Drittel des Tages E-Mails schreibe und zu einem Drittel konkret an Projekten arbeite. Ich nehme die Corona-Schutzregeln sehr ernst, treffe möglichst wenige Personen und arbeite überwiegend vom Home-Office aus. Da ich im Oktober 2020 neu in diese Position kam, habe ich die meisten Kulturaktiven bisher nur telefonisch oder am Computer kennengelernt.

Wie schwierig ist es, neue Leute nur digital kennenzulernen und sich trotzdem gut zu vernetzen? 

Der digitale Kanal hat Vor- und Nachteile. Ein klarer Vorteil ist, dass ich mehr Termine wahrnehmen kann. Es gibt keine Fahrtzeiten, keinen netten zusätzlichen Kaffeeplausch, die Gespräche verlaufen zielgerichteter und schneller. Im Kulturbereich geht es aber nicht primär um Effizienz, sondern um einen reichhaltigen Austausch, der zu neuen Ideen führt und die Region weiterbringt. Dafür muss man sich sehen, Gedanken sprudeln lassen, Kreativität in den Augen glitzern sehen. Das ist digital nur bedingt möglich und bei Gruppendiskussionen schon dreimal schwieriger. 

Nichtsdestotrotz darf man deswegen nicht den Kopf in den Sand stecken. Vor kurzem hatte ich zu einem ersten offenen digitalen Vernetzungstreffen von Kunst- und Kulturschaffenden in der Region eingeladen. Die Resonanz war überwältigend, wir hatten über 50 Anmeldungen! Zehn spannende Projekte wurden vorgestellt, wir hatten sehr angeregte Diskussionen und Ideen für weitere Treffen. Das zeigt das kollektive Bedürfnis in der Region, sich zusammenzutun und kulturell etwas zu bewegen.

Kultur am Mittelrhein, das ist vor allem Rheinromantik und Burgenflair. Oder?

Die Mittelrheinkultur ist keine Monokultur und lebt kulturell nicht nur von der historischen Rheinromantik und den vielen Burgen. Dennoch sind sie wesentliche Identifikationsfaktoren der Region. Die Herausforderung besteht darin, Geschichte zu bewahren und sie gleichzeitig zu entstauben, ihr zeitgenössischen Pep zu verleihen, den Gäste und Einheimische gleichermaßen interessant finden. Da gibt es unglaublich viel Potenzial! Zahlreiche Künstler, Maler, Bildhauer und auch Autoren in unserer Region arbeiten sehr rege daran, ihre Ergebnisse müssen nur deutlicher sichtbar werden – was wiederum ein Ziel meiner Arbeit ist. Hier wäre zum Beispiel eine Route der Galerien und Ateliers denkbar, aber auch die Schaffung von zusätzlichen Orten und Räumen für Kultur.

Gleichzeitig finde ich, dass man das kulturelle Erbe von Rheinromantik und Burgen zunehmend offen verhandeln muss. Dazu gehört auch zu hinterfragen, wie wir in und mit unserer geschichtsträchtigen Heimat leben wollen. In diesem Jahr soll an der Heuss-Adenauer Mittelrhein-Realschule plus in Oberwesel in Zusammenarbeit mit dem Theater am Werk aus Koblenz ein Schultheaterstück entstehen, das die Künstler der Rheinromantik des 19. Jahrhunderts mit Personen aus der Zukunft auf der Bühne darüber streiten lässt, wer von ihnen „cooler“ ist. Im letzten Jahr konnte der Zweckverband bereits die Konzeption für das Theaterstück fördern. Ich finde dieses Projekt toll, weil es kulturelle Bildung, regionale Bewusstseinsschaffung und Argumentationsfähigkeit gekonnt unter einen Hut bringt. 

An welchen Projekten arbeitest du gerade? 

Aktuell bin ich intensiv mit den Vorbereitungen des Theaterfestivals „An den Ufern der Poesie“ beschäftigt. Das Festival wird vom 18. Juni bis 4. Juli in Corona-konformen Theaterformaten in Bacharach, Oberwesel, Kaub und Lorch stattfinden und steht im Zeichen des deutschlandweiten Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Hier kümmere ich mich zusammen mit meinem Kollegen Maximilian Siech insbesondere um die formellen Angelegenheiten und um die Sponsorenakquise, die in diesem Jahr besonders herausfordernd ist. Zusätzlich entsteht gerade eine Ausstellung über das jüdische Leben am Mittelrhein und über die Märtyrer-Legende des Werner von Oberwesel. Ich begleite dabei eine ehrenamtliche Initiative, moderiere den Prozess und gebe Hilfestellung bei formalen Herausforderungen.

Parallel dazu arbeite ich mit meinem Kollegen Nico Melchior an den sogenannten „Romantikprofilen“, einem Workbook, das die vielen rheinromantischen Ortschaften als Wirkungsorte zahlreicher Künstler von damals beleuchtet. Es soll eine Inspirationsquelle für neue Projektideen sein, zum Beispiel im Tourismus. 

Ein weiteres wichtiges Projekt in diesem Jahr ist die Erstellung eines Kulturmanagementplans. Dazu werde ich gemeinsam mit Akteuren, Kunst- und Kulturschaffenden aller 5 Landkreise beraten, wie wir Kunst und Kultur in der Region besser unterstützen und vorantreiben können. Angestrebt wird dabei auch ein Aktionsplan und es sollen regionale Qualitätskriterien erarbeitet werden. Diesen Prozess bereite ich gerade vor. Und dann gibt es noch einige weitere Projekte, die ich in den nächsten Wochen und Monaten Schritt für Schritt angehe. 

Eine erste Zwischenbilanz: Wo siehst du ungenutzte Potenziale, um das Tal als Kulturregion zu positionieren?

Ich denke, dass ein großes Potenzial in der Verbesserung der Kommunikation von kulturellen Angeboten in der Region besteht. Es ist nicht selten, dass in einer Ortschaft eine tolle Ausstellung gezeigt wird oder eine interessante Veranstaltung stattfindet und zwei Ortschaften weiter weiß man nichts davon. Das geht über in die Problematik, dass es zig Veranstaltungskalender gibt, die meist nur lokale Angebote abbilden. Eine gemeinsame regionale Lösung steht da meines Erachtens aus, ist allerdings leichter gesagt als getan.

Weitere Potenziale sehe ich darin, Orte zum Verweilen stärker mit kulturellen Angeboten zu verknüpfen. Insbesondere die Gastronomie, Cafés, Winzer, aber auch öffentliche Plätze könnten durch zusätzliche Kulturangebote profitieren und attraktiver gemacht werden. Eine Herausforderung, der wir im Mittelrheintal zwischen Koblenz und Bingen/Rüdesheim gegenüberstehen, ist der Überschuss an Leerständen bei gleichzeitigem Mangel an Räumlichkeiten für Kunst und Kultur. Da gibt es noch viel Gestaltungsraum für neue Nutzungsmöglichkeiten und neuartige Kooperationen. 

Worauf freust du dich am meisten, wenn die Corona-Pandemie einigermaßen im Griff ist und die Beschränkungen wieder gelockert werden?

Als Privatmensch freue ich mich riesig darauf, wieder essen gehen, in Museen und Ausstellungshäuser gehen und Tango Argentino tanzen zu können. Als Kulturmanagerin freue ich mich ganz besonders darauf, die vielen Menschen mit denen ich täglich schreibe, telefoniere oder videokonferiere, endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen und gemeinsam brainstormen zu können. Ich freue mich darauf, Veranstaltungen mit zu koordinieren und diese dann auch tatsächlich besuchen zu können. 

Und ich freue mich darauf – zumindest hoffe ich es – dass Corona insofern auch etwas Gutes bewirkt, nämlich wenn Wertschätzung und Ansehen von Kunst und Kultur wieder deutlich zunehmen. Denn Kultur ist nicht einfach nur Freizeitbeschäftigung, sondern Kultur ist Bildung und Identifikationsmittel. Kultur ist Arbeit. Und für viele Menschen und ihre Familien ist sie auch die Lebensgrundlage.

Wer Sarah im Video sehen will: Im Januar wurde sie im SWR-Fernsehen porträtiert

Infos für Künstler:innen und Kulturschaffende:

Sarah Piller ist beim Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal die zentrale Ansprechpartnerin für Kunst und Kultur. Künstler, Kulturschaffende, Ehrenamtliche und kulturell Schaffende der Welterbe-Region können sich mit Fragen zu möglichen Projektpartnern, weiteren Ansprechpartnern, Ausstellungs- und Auftrittsmöglichkeiten, Fördermöglichkeiten sowie zum offenen Ideenaustausch an sie wenden. E-Mail genügt: s.piller@zv-welterbe.de  

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