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Wander-Profi Heike Tharun: „Mach es für dich passend und angenehm“

Heike Tharun ist als Wander- und Mentaltrainerin oft am Mittelrhein unterwegs. In ihren Kursen hilft sie Outdoor-Fans, Ängste zu überwinden und den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Die Mainzerin bloggt außerdem über Wandern und stressfreien Naturgenuss. In Teil 2 der Interview-Reihe von Marie-Luise Krompholz erzählt sie, warum Wandern gegen Corona-Blues hilft, wie man sich auch im Winter vom Sofa aufrafft, was in den Rucksack gehört und welche persönlichen Erfahrungen sie in der Pandemie gemacht hat. 

Alpiner Abstieg am Mittelrhein. Foto: heimatwandern.de
Alpiner Abstieg am Mittelrhein. Foto: heimatwandern.de.

Was macht für dich den Reiz des Wanderns am Mittelrhein aus? 

Es sind die Höhen, Weiten und Pfade dieser Landschaft! Ich liebe sportliches Wandern, Ruhe und Abgeschiedenheit. Ich steige gerne rauf und runter, strenge mich an, um dann den Lohn der Arbeit auf der Höhe und bei tollen Aussichten zu genießen. Das Obere Mittelrheintal bietet mir quasi vor der Haustür genau die Landschaftsräume, in denen ich gerne unterwegs bin.  Als Sport-Mentalcoach für Bergwanderer finde ich in den Hängen und Felsen rechts und links des Flusses zwischen Bingen und Boppard das passende Terrain für meine Kurse und Coachings.

Wie kann Wandern gegen den Corona-Blues helfen? 

Ängste und Stress können durch neurophysiologische Wechselwirkungen zum Selbstläufer werden, das gilt generell und nicht nur beim Corona-Blues. Wir machen uns Sorgen, lassen Kopf und Schultern hängen, fühlen uns dadurch schlecht und triggern mit diesem schlechten Gefühl unbewusst weiter negative Gedanken – und das böse Spiel beginnt von vorne.

Wandern setzt da an, wo die Probleme entstehen und ist ein praktischer Ausweg: Du kommst von Kopf bis Fuß in Bewegung und machst neue, positive Erfahrungen in der Natur. Wenn du zum Beispiel vom Fluss auf einem Serpentinenweg durch den Wald hinauf auf die offene Rheinhöhe stapfst, kommt der Kreislauf in Schwung und Stresshormone werden abgebaut. Durch das Steigen richtet sich der Körper auf. Neue Bilder, das Rauschen eines Baches, das Knistern der Steinchen unter den Schuhen, ein glitzernder Sonnenstrahl lösen Grübel-Knoten und führen Schritt für Schritt aus der mentalen Sackgasse raus. Dieses Zusammenspiel von physischer Aktion, Sinneseindrücken und Perspektivenwechsel bringt uns automatisch auf neue, schöne Gedanken.

Warum mangelt es uns oft an Zuversicht? Und wie können wir lernen, gelassener und mutiger zu werden?

Herausforderungen und Probleme werden oft zu kopflastig angegangen, dabei ist Zuversicht viel weniger Kopfsache als du denkst. Mut und Gelassenheit wachsen mit der Erfahrung und dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie dem Gefühl, sein Schicksal selbst in der Hand zu haben und positiv beeinflussen zu können. Konkret führt der Weg zu mehr Zuversicht also über das Sammeln von wohltuenden Erfahrungen. Mein Tipp, damit du besser ins Tun kommst: Mache die Aktivität für dich passend und angenehm.

Wie funktioniert das konkret?

Ich veranschauliche das mal am Beispiel Winterwandern. Du hattest eine stressige Woche im Home Office, beim Home Schooling usw. Du bist müde, kaputt, willst nur noch auf die Couch. Andererseits weißt du, eine Luftveränderung täte dir jetzt gut. Deshalb machst du dir das Wandern passend für den kalten Wintertag. Du suchst dir zum Beispiel eine einfache Strecke mit kurzer Anfahrt aus, ziehst eine Mütze oder ein Stirnband in deiner Lieblingsfarbe an, nimmst Grödel – also eine Art Schneeketten für die Schuhe – im Rucksack mit und stellst dir für die Belohnung hinterher einen leckeren Kuchen daheim bereit. 

Dein Tipp: Wo kann man auch jetzt im Spätwinter gut wandern?

Meine aktuelle Lieblingsrunde im Winter führt ab Weiler bei Bingen um oder über den Münstererkopf. Sie ist mit 6 Kilometern kurz, in Abschnitten geschützt durch Wald und bietet trotzdem tolle Aussichten, sowohl nach Rheinhessen als auch ins Rheintal. Die Tour ist ein abgewandeltes, für mich passend gemachtes, Teilstück des Premiumweges „Rhein-Nahe-Schleife“. 

Eine unverlaufbare, weil sehr gut ausgeschilderte, kurze und vom Untergrund einfache Runde ist das Traumschleifchen Pfalzblick bei Langscheid (5 km). Dann noch ein Tipp rheinabwärts, wo die Hänge steiler und die Täler tiefer werden: Ab Kestert hoch, ein Stück auf den Rheinsteig und durch die windgeschützte und wilde Pulsbachklamm runter an den Rhein und zurück nach Kestert (6 km).

 

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Im letzten Jahr zog es viele Großstädter und junge Familien raus in die Natur. Was könnte man im Oberen Mittelrheintal noch besser machen, um aus dem Boom einen nachhaltigen und umweltverträglichen Trend zu machen?

Als Außenstehende stehen mir kluge Ratschläge eigentlich nicht an. Aber wenn ich gefragt werde: Insbesondere was den Anreiseverkehr und die Parkplatz-Situation betrifft, mache ich mir schon meine Gedanken. Für Wanderer ist die ÖPNV-Infrastruktur ja grundsätzlich super mit Bahn und Schiff. Die ÖPNV-Angebote könnte man noch besser aufeinander abstimmen, in Verbindung mit Wandertipps visualisieren und kommunizieren. Eine Lösung des Park-Dilemmas im Tal könnte sein, Ein- und Zustiege beliebter Routen wo möglich auf die Höhen zu verlegen.

Für Familien könnten mehr und im Tal verteilte naturnahe und kindgerechte Angebote, wie die Baumgeister-Tour im Binger Wald, eine gute Idee sein. Ich persönlich würde mich über mehr und anspruchsvollere Angebote für Erkunder und Entdecker freuen. Zwischen Bingen und Boppard gibt es einige interessante Pfade und Routen, die leider zum Teil vom Verwildern und Zuwachsen bedroht sind. Diese zu reaktivieren, könnte eine weitere Möglichkeit sein, dem „Overtourism“ an den Hotspots etwas entgegen zu setzen ohne allzu sehr reglementierend einzugreifen.

Wie hat Corona in den letzten Monaten dein Wanderleben verändert? 

Mit dem ersten Lockdown im Frühling 2020 war von jetzt auf gleich meine Kreativität, Flexibilität und Geduld gefragt. Ab Mitte März hieß es für mich Kurstermine verschieben, umbuchen, Stornoregelungen aufheben, sensibel auf Kundenwünsche eingehen, umsetzbare Angebote entwickeln. Der zweite Lockdown fällt zum Glück mit meiner Winterpause zusammen. Diese nutze ich ausgiebig für Erkundungen und Online-Fortbildungen. Streckenwanderungen vermisse ich, die gehen zurzeit nicht, weil ich den ÖPNV wegen der Ansteckungsgefahr gerade meide. 

Bei allen Problemen und Herausforderungen durch Corona, nimmst du auch positive Erfahrungen und Inspirationen mit aus dieser Zeit?

Neben dem draußen unterwegs sein, ist der vorbehaltlose und lebensbejahende Spirit meiner drei kleinen Enkeltöchter eine verlässliche Quelle der Freude. Zwei Stunden auf dem Spielplatz und der Corona-Blues ist aus dem Kopf. 

Außerdem durfte ich die tolle Erfahrung machen, dass mir meine Kunden treu sind. Letztes Jahr haben fast alle umgebucht, wenn ich einen Kurs wegen Corona absagen musste. Nur ein paar stornierten komplett, einige davon haben sich aber für 2021 schon wieder angemeldet. Die schöne Kehrseite des eingeschränkten Kursbetriebs war mehr Zeit für Wanderungen mit meinem Mann im Frühling 2020.

Worauf freust du dich am meisten, wenn die Corona-Pandemie einigermaßen im Griff ist und die Beschränkungen wieder gelockert werden? 

Ich freue mich sehr auf einen normalen Kursbetrieb ohne mir einen Kopf machen zu müssen, ob und wie ein Kurs stattfinden kann. Auf einen unbeschwerten Alltag, der einen nicht permanent dazu zwingt, sich zu disziplinieren. Das Leben wieder mehr laufen zu lassen, damit das, was ich beim Wandern so sehr mag, auch im Alltag wieder ein Stück Raum erhält: das Rumstromern!

Mehr über Heike Tharun gibt es auf ihrer Website www.heimatwandern.de   

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