Mittelrheingold-Kolumnist Christian Büning fragt sich, wie viel „Optimierung“ der Fluss noch verträgt und was es am Ende wirklich bringt. Eine Alternative zum klassischen Ausbaggern, Absprengen und Wegmeißeln könnte der Rheinschifffahrt viel mehr helfen.
Am Mittelrhein laufen immer wieder Schiffe auf Grund, eigentlich in schöner Regelmäßigkeit oder besser in schrecklicher Regelmäßigkeit. Ein Tanker lag mal seitlich auf dem Jungferngrund mit ein paar Hektolitern Säure intus. Die Fische hatten keine Ahnung, in welcher Gefahr sie waren. Ein anderer stellte sich quer ins Wasser und drohte, von der Strömung umgedreht zu werden. Immer wieder gibt es Kapitäne, die die Handbreit Wasser unterm Kiel etwas zu groß einschätzen und das verzweifelte Knirschen von Stein auf Metall durch das ganze Schiff hören so wie man einen Bohrer beim Zahnarzt im ganzen Schädel hört. Zum Auflaufen kommt dann zu allem Übel noch der Auflauf der Schaulustigen an den Ufern, die Fotos und die Häme. Bisher ist es jedoch meistens nochmal gut gegangen mit dem Havarieren. Wasserpolizei, Feuerwehr, Hoffen und Ziehen, Durchschnaufen, Fluchen und alles fließt wieder.
Im Hitzesommer 2018 stand der Pegel im Rhein bei nur noch 28 cm. Das ist weniger als ein Blatt Papier hoch ist. Dazu kommt zwar noch der rechnerische Zuschlagswert von einem guten Meter Wasser, aber der ist nicht nutzbar für Schiffe. Der Pegel im Rhein wird in den nächsten Jahren stärker schwanken. Die Schiffe sollen hingegen immer mehr Fracht transportieren und größer und schwerer werden. Mehr Tiefgang und schwankende Pegel, das heißt Stress für die Kapitäne und Hektik für die Logistik. 28 Zentimeter war der niedrigste Pegel und ungefähr 28 Zentimeter sollen an einigen Felsen unter Wasser weggesprengt werden, damit das Rheinbett die Schiffe in Ruhe lässt.
Der Mittelrhein ist nicht irgendein kleines Flüsschen. Wer einmal gesehen hat, wie hart sich ein Doppelschubverbund in eine 90-Grad-Kurve wirft und dabei genau in der Fahrrinne bleibt, der weiß, welche Nervenstärke ein Kapitän am Mittelrhein braucht. Aber bei 28 cm Pegel hat der beste Kapitän keine Chance, Nerven aus Stahl oder nicht.
Der Mittelrhein ist die Mutter aller Modelleisenbahnlandschaften, jetzt gibt es ein Modell vom Mittelrhein selber. Die Bundesanstalt für Wasserbau hat ein Modell vom Mittelrhein gebaut – im Maßstab 1:60 wurde die Rheinkurve von Kaub bis zur Loreley nachgebildet. Es geht nicht um Freizeitspaß im Miniwonderland, sondern um Strömungsforschung, um Fließschatten und Fahrrinnen. Das Modell zeigt sehr detailgenau alle Felsen unter Wasser. Kleine rote Kügelchen treiben in der Strömung. Sie zeigen, wie sich das Wasser verhält und wo es ungünstige Strömungsschatten und Verwirbelungen gibt.
Den ganzen Tag den vielen roten Kügelchen zuzusehen, begleitet vom leichten Plätschern des Wassers – ich würde vermutlich weniger forschen sondern direkt einschlafen. Das Modell soll aber nicht einschläfern, sondern vorhersagen, welche Felsnasen weg müssen und welche bleiben können. Und wo im Fluss Querbauten nötig sind, um Wasser in die Fahrrinne zu drücken. Das Ziel ist klar: Es soll mehr Wasser in die Mitte, damit mehr Ladung auf die Schiffe kann, damit weniger Ladung auf die Straße kommt. Das Fahren soll so optimiert werden und vor allem das Abladen. Daher hat die ganze Maßnahme den besänftigenden Titel Ablade-Optimierung bekommen.
In Bacharach wurden die ersten Ergebnisse dieser Ablade-Optimierung präsentiert. Ein langer, sogenannter Längsbau soll das Wasser in die Fahrrinne drücken. Für die Schiffe ist das toll, für die Bacharacher nicht. Denn man kann den Rhein dann hinter dem Längsbau nicht mehr sehen und zwischen Längsbau und Rheinufer fließt das Wasser weniger. Bei niedrigem Pegel bleibt dann nur Matsch und Mücken und die Ruderer rudern auf dem Trockenen. Was ist wertvoller – Mehr Fracht oder mehr Lebensqualität? Diese Entscheidung steht noch aus. In Oberwesel werden die nächsten Baupläne für die nächsten Abschnitte bald präsentiert.
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Ein Gedankenspiel: Nehmen wir an, alle Maßnahmen der Abladeoptimierung werden umgesetzt. Ist der Rhein dann überall tief genug? Die Dokumentation der Bundesanstalt verneint das. Wenn im mittleren Mittelrhein alles paletti ist, wartet direkt die nächste Engstelle weiter flußabwärts. Ist diese behoben, wartet die nächste schon. Es hört also nicht so schnell auf mit den Modellen, den roten Kügelchen, dem Einschlafen und dem Dynamit. Es ist ein bisschen so als ob ich an einem wackeligen Tisch ein Bein kürzer säge und der Tisch immer noch wackelt. Ich säge also an einem anderen Bein ein Stückchen ab, damit er nicht mehr wackelt und so weiter. Am Ende hat der Tisch keine Beine mehr.
Wer wird das Rennen bei diesem Wettbauen gewinnen? Gewinnt das Dynamit? Wenn die Felsnasen wie geplant alle weggesprengt sind, ist es noch lange nicht gut. Der Klimawandel könnte die Rechnung dennoch zunichte machen mit schwindenden Gletschern und chronischem Wassermangel im Sommer. Wenn der nächste extreme Hitzesommer kommt, ist der Rhein vielleicht wieder für Wochen nicht schiffbar. Und der nächste Hitzesommer kommt bestimmt.
Natürlich wurde am Rhein schon viel gesprengt – mit großem Nutzen. Mehr Ladung auf die Schiffe zu bringen ist auch ein heldenhaftes Ziel, weil auf dem Wasser pro Tonne Fracht weniger CO2 rausgehauen wird und CO2 ist ja als Molekül ein bisschen aus der Mode geraten. Am Binger Loch, an der Loreley, überall wurde in der Vergangenheit schon Fels weggeschlagen, damit die Schiffe nicht auf Grund laufen. Davon profitiert die Schifffahrt bis heute.
Wie also weiter machen? Immer weiter auf dicke Schiffe optimieren und den Mittelrhein anpassen? Oder lieber den Rhein so lassen und einfach die Schiffe optimieren? Das kostet auch Geld. Die Reedereien werden erwartungsgemäß um Hilfe bitten bei der teuren Umstellung ihrer Flotten. So wie die Bahn nach und nach die lauten Waggons aufs Abstellgleis schiebt, könnte man doch auch bei der Schifffahrt nach und nach auf breitere Schiffe mit weniger Tiefgang umstellen. In Summe wäre das sicher günstiger als die permanente Optimierung eines ganzen Flussbettes. Das Unesco Welterbe Oberes Mittelrheintal würde nicht durch hohe Längsbauten entstellt, sondern als stimmiges Bild erhalten bleiben. Die Ruderer in Bacharach würden ihre Paddel nicht in den Schlamm sondern in frisches, klares Rheinwasser schlagen. Natürlich würden auch weiterhin Schiffe auf Grund laufen – die Leute am Steuer sind ja noch die gleichen.
Allerdings liegen die neuen Schiffe nicht so tief im Wasser und haben eine breitere Rumpffläche. Dadurch kann man sie leichter ins tiefere Wasser schleppen und die schaulustigen Menschenmengen lösen sich schneller wieder auf. Also Optimieren sehr gerne, auch gerne fürs Abladen. Nur halt nicht den Rhein optimieren, sondern die Schiffe. Das wollte ich hier in dieser Textspalte kurz abladen.
Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis gut eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Seit 2021 ist regelmäßiger Kolumnist bei Mittelrheingold. Danke, Christian!
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7 Gedanken zu „Was die „Abladeoptimierung Mittelrhein“ mit einem wackligen Tisch zu tun hat“
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