Christian Büning

Römer macht schöner

Das „Römer“-Weinglas ist so aus der Mode gekommen, dass es bald nur noch für Quizfragen bei RTL taugt. Warum eigentlich? Warum müssen Weingläser am Mittelrhein jetzt genauso aussehen wie in jedem 08/15-Restaurant am Gardasee, im Harz oder auf Mallorca? Mittelrheingold-Kolumnist Christian Büning mag das charakteristische Römer-Design. Er findet, dass man den Römer verbessern sollte statt ihn zu verstecken – so wie man es in Franken mit der charakteristischen Bocksbeutel-Flasche geschafft hat. Ein Plädoyer für das vermeintlich Unmoderne und trotzdem Besondere.

Christian Büning ist Designer (Büro Büning, Werkstoff Verlag), Mittelrheiner mit westfälischem Migrationshintergrund und Kolumnist bei Mittelrheingold. Foto. Privat

»Lasst die Gläser hell erklingen…« schrieb einst Karl-Heinz Link und setzte dem Wein und der Weinseligkeit ein lyrisches Denkmal, das sogar eine Zeile mit einem »trunknen Auge« vorkommen lässt. Kein Getränk ist so eng mit seinem Trinkgefäß verbunden wie der Wein. Bier gibts aus Humpen, Eimern, Hörnern, aus der Flasche oder Bechern, aber Wein gibts aus dem Glas. Immer. Im Mittelalter war Glas teuer, die Altglascontainer standen noch sehr selten in der Gegend rum und wer es sich leisten konnte, trank eben aus Glas. Glas ist haltbar und transparent, man sieht, was man trinkt und es sieht elegant aus in der Hand. Es macht dazu noch einen schönen Ton, wenn man zwei Gläser aneinander stößt. Ein heller Ton der guten Tischmanieren, ein Ton der Freundschaft und ein Ton der Zivilisation. 

Wie das so ist, wenn Menschen etwas machen – sie fangen an zu dekorieren und zu variieren. Wir hatten das ja schon bei den Dachgauben. Mit dem Glas fing es genauso an. Aus einem Glastropfen wurde eine Blase geblasen. Die Kunst, aus einem Glastropfen eine Blase zu blasen, war ein echter Game-Changer. Mit sehr wenig Material konnte man auf einmal ein filigranes Trinkgefäß zaubern. Wie aus einem riesigen Tautropfen trank man den köstlichen Wein. Nur kippt so eine kugelige Trinkblase leider sofort um, wenn man sie auf den Tisch stellt, was auf die Dauer dann doch unpraktisch ist. Baut man allerdings noch eine zweite Glasblase unten an, mit der Öffnung nach unten, hat man eine Trinkblase mit einem Fuß. Auf einmal kann man sein Glas abstellen und in Ruhe mit beiden Händen essen oder dem Nachbarn zeigen, wie groß der Karpfen war, den man letztens geangelt hat. 

Eine Sternstunde der Trinkkunst

Zwei Blasen sind toll, aber Menschen wären nicht Menschen, wenn sie nicht versuchen würden, einen Schritt weiter zu gehen. Also hat man irgendwann zwischen dem Fuß und dem Trinkglas noch eine dritte Blase eingeschmolzen. Das sieht schick aus, das Glas steht höher auf dem Tisch, man kann den Hausherren am Glas erkennen und man kann noch mehr Dekoration unterbringen. Wunderbar! Nächster Level: Buntes Glas! Warum nicht aus einem gelben Glas trinken oder aus einem grünen? Sehr elegant. Und dann sind wir schon beim zweifarbigen Trinkglas. Grüner Fuß, klarer Kelch.

Die mittlere der drei Glasblasen wurde mit den Jahren immer kleiner und ist heute noch als kleiner Knubbel unter dem Trinkkelch sichtbar. Der Fuß ist dafür etwas höher geworden. Die Rillen am Fuß zeugen noch von der Technik, das flüssige Glas mit einem Stab in Form zu treiben. Eine Sternstunde der Trinkkunst steht uns bevor: Der Römer ward geboren! Der Römer liegt gut in der Hand, steht sicher auf dem Tisch, wenn’s mal rund geht und ist robust genug für den Alltag in der Weinstube, wenn nach der vierten Flasche die Koordinationsfähigkeiten nicht mehr ganz so präzise sind.  

 

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Kein Glas steht so für deutsche Weinseligkeit wie der Römer. Fenster mit Butzenglas, eine kleine, gemütliche Weinstube, voll mit netten Leuten und dazu die Römer auf dem Tisch. Der Abend ist perfekt. Die Weinseligkeit legt sich über die Leute wie eine Decke aus Wohlwollen und Heimeligkeit – hier würde man Geheischnis sagen. Die Römer erheben sich und halten den Wein wie übergroße Tautropfen ins Licht wie Powerranger ihre Superkräfte. 

Lernen vom Bocksbeutel

Kein Glas steht so für diese deutsche Weinseligkeit wie der Römer. Und genau darum halten einige Winzer einen peinlich genauen Sicherheitsabstand zum Römer ein und nehmen lieber moderne Gläser mit hohem Kamin. In modernen Gläsern kann man den Wein schwenken, atmen lassen und das Aroma riechen. Auf Weinmessen gibt es kaum noch Römer, sondern meist moderne Gläser. Langer Stiel, hoher Rand, weiter Bauch. Natürlich gibt es Römer, die groß genug sind, um einen Wein ordentlich zu schwenken. Weinköniginnen haben welche, Weinhexen auch. Weinkönige gibts ja aus nicht nachvollziehbaren Gründen noch nicht. Und dennoch nimmt der Winzer, der mit seinem Wein in die Welt hinaus möchte, nicht den Römer sondern ein modernes Glas. Wie schade!

In Franken verkauft man Wein im Bocksbeutel. Eine flache, breite Flasche aus dunkelgrünem Glas, die an Trinkbeutel aus Leder erinnert, die in früheren Zeiten die Hirten bei sich hatten. Ich weiß nicht, wie Wein schmeckt, der im Leder gereift ist, aber ich fürchte, die filigranen Fruchtnoten sind da etwas unter die Räder gekommen. Der Bocksbeutel als Flasche war beliebt und Teil der regionalen Identität, allerdings haben Winzer, die in die Welt wollten, nicht in Bocksbeutel gefüllt. Sie wollten nicht, dass man an Wein in Leder denkt und fürchteten, dass der Bocksbeutel irgendwie altbacken rüberkommen könnte. Wie schade um diese schöne Form.

Der Designer Peter Schmidt hat dem Bocksbeutel schließlich eine neue Form gegeben. Mehr Schulter, mehr Kontur, insgesamt etwas eckiger, so als würde man das erste Mal im Leben einen Pagenkopf als Frisur ausprobieren und sich sofort als Topagentin fühlen. Der neue Bocksbeutel erinnert nicht mehr an Lederbeutel, sondern kommt eher wie ein Flakon daher, der Kostbares beschützt. Im grünen Glas bricht das Licht und macht neugierig auf den Inhalt. Winzerinnen gehen mit dem neuen Bocksbeutel in die Welt und erzählen von Franken, der langen fränkischen Weingeschichte und Ziegenleder und haben eine gute Zeit. 

Es wird Zeit für den Römer 2.0

Ich finde, der Römer ist als Trinkgefäß viel zu wunderbar, um ihn nicht in die Welt zu tragen. Es gibt ihn in unzähligen Variationen, in vielen Farben, Größen, mit kunstvoll dekoriertem Fuß oder schlicht gerillt. Wie könnte man den Römer behutsam etwas faceliften, um ihn als neuen Römer zum Botschafter des Weines vom Rhein in die Welt zu schicken? Mit Facelifting meine ich nicht das, was manche mit ihrem Gesicht machen und anschließend nur noch flüssige Nahrung durch Strohhalme zu sich nehmen können. Ich meine eher die Art von Facelift wie bei Christian Lindner, wo man lange überlegen muss, ob überhaupt etwas gemacht wurde. 

Wie könnte also ein moderner Römer aussehen, der sofort gefällt und seine Geschichte erzählt? Zweifarbig müsste der neue Römer nach dem Facelift natürlich sein. Mit grünem Fuß, mit klarem Kelch. Die Farbe vom Wein sehen zu können ist wichtig. Dünnwandig müsste er natürlich auch sein, damit der Wein sein Aroma entfalten kann. Und etwas Kamin müsste er haben, damit der Wein geschwenkt werden kann. Der Kelch des neuen Römers müsste also von eher breit auf eher hoch geändert werden. Der neue Römer hätte dank seines stabilen Fußes einen Vorteil gegenüber den modernen Gläsern. Ein Römer auf dem Tablett fällt nicht so schnell um. Auch kräftige Hände können den grünen Fuß gut greifen und halten. 

Ein Tisch, feierlich gedeckt mit vielen bunten Römern, ist eine herzliche Einladung für einen schönen Abend, bei dem man darüber plaudert, wie damals der Riesling an den Rhein gekommen ist, was das mit den trunkenen Augen macht und warum es so schön ist, die Gläser hell erklingen zu lassen.

Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis gut eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Seit 2021 ist er Kolumnist bei Mittelrheingold. Danke, Christian!

Bisher erschienen: 

Häuser mit Zukunft (Warum historische Ortskerne wieder modern werden)

Der Mittelrhein im Nebel (über Astronauten und Kirchtum-Politiker)

Was zur Hölle ist eigentlich Schiefer? (über das Mittelrheinischste aller Materialien)

Bis dahin fließt noch viel Wasser denn Rhein runter (über Hungersteine und Niedrigwasser)

Was macht die Welt mit der Loreley? (über das Image der bekanntesten aller Mittelrheinerinnen)

Was die Abladeoptimierung Mittelrhein mit einem wackligen Tisch zu hat (über die Vertiefung der Mittelrhein-Fahrrinne)

Blühende Schleifenlandschaften – die heimliche Blume von Boppard (über Iberis linifolia subsp. boppardensis und was man damit anstellen könnte

Lonely Places oder die heimlichen Stars am Mittelrhein (über Orte, die selbst Einheimische nicht kennen)

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Grenzenlos gut (über eine Mittelrhein-Grenze, die jederzeit ignoriert werden muss)

Ein Dach ohne Gaube ist ein Irrtum (über das Paradies der Ecken, Winkel und Dachgauben)

Was ist schon Zeit? (über Zugfahren am Mittelrhein)

Eine Ziege, ein Kohl und ein Wolf (über Brücken und Fähren)

Gude, Moin und Guten Tag (über die Kunst des richtigen Grüßens)

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