Christian Büning ist Mittelrheiner mit innerdeutschem Migrationshintergrund: Der Kreative aus Münster lebt und arbeitet seit 2017 in Oberwesel. Dort führt er sein Designbüro „Büro Büning“, engagiert sich im Stadtrat und hilft bei vielen Initiativen im Welterbetal. Nebenbei saniert er alte Häuser und vermietet gemeinsam mit seinem (Ur-)Oberweseler Lebenspartner Marcel D’Avis geschmackvoll eingerichtete Ferienwohnungen. Schreiben kann er auch noch. Ab sofort ist er regelmäßiger Kolumnist bei Mittelrheingold. Willkommen, Christian!
Gude, Moin und Guten Tag
Es ist ein Krimi, jedesmal. Irgendein Ort am Mittelrhein. Linksrheinisch, rechtsrheinisch – egal. Du läufst eine Straße entlang und jemand kommt dir von Weitem entgegen. Die Straße ist lang und gerade, Du siehst dein Gegenüber und wartest auf den passenden Moment, um zu grüßen. Keiner will der sein, der wie ein irrer Fernsehgartenmoderator von Weitem winkt und über die Straße brüllt. Zu spät will allerdings auch keiner grüßen, das würde irgendwie unwillig wirken und wer will schon unwillig sein, vor allem am Mittelrhein. Ein schwieriger Grad ist also einzuhalten zwischen Wahnsinn und Anstand, gegen den selbst der Knigge machtlos ist. Man kann diesen Wahnsinn allerdings noch gehörig steigern durch die Frage, womit ich denn eigentlich grüße. In Hamburg sagt man Moin, in Bayern sagt man Servus, in Berlin sagt man eine unverständliche Beleidigung und in Westfalen wird wortlos genickt. Und am Mittelrhein? Da sagt man Gude. Oder Morje. Oder Gemoje. Oder Morgn. Oder Hallo. Oder oder oder.
Zurück auf der Straße, in dem kleinen Zeitfenster, in dem man sich grüßen kann. Es ist wie Stein-Schere-Papier. Was nehme ich? Was nimmt der andere? Ich weiß nicht, was mein Gegenüber nimmt, aber beide müssen sich entscheiden. Also grüße ich morgens auf dem Weg zum Büro den ersten mit einem noch verschlafenen Morgn und bekomme ein fröhliches Gude als Antwort. Also gut. Ich mache mich der kulturellen Aneignung verdächtig und wähle als Zugezogener beim Nächsten, den ich treffe, ein erstaunlich fröhliches Gude – die Antwort ist ein tiefes Morje und ein Zeigefinger, der leicht zum Gruß angehoben wird. Beim nächsten gehe ich also sicherheitshalber wieder zurück auf das Morgn von eben und bekomme ein glockenhelles Hallo zurück. So geht es die ganze Zeit. Egal, in welcher Kombination, es gibt keine zwei gleichen Grußformeln. Im Büro angekommen, schließe ich die Tür hinter mir, reibe mir leicht verwirrt die Augen und sage leise Hallo in den leeren Flur. Keine Antwort.
Ich schwöre es: Seit ich hier lebe, ist es noch nie passiert, dass beide das gleiche gegrüßt haben. Sollte das jemals der Fall sein, dann bleibt vermutlich der Rhein stehen oder die Mittelrheinbrücke erscheint mit Donner aus dem Nebel. Was sagt es über eine Region aus, wenn man nicht nur eine einzige Grußformel für alles hat, sondern einen ganzen Strauß davon? Der Mittelrhein ist grußtechnisch keine einförmige Monokultur, sondern ein artenreicher Dschungel mit vielen bunten Grußformeln darin. Wer weiß, vielleicht entstehen in Zukunft sogar neue Grußformeln, von denen wir heute noch gar keine Ahnung haben? Vielleicht wird ja noch etwas Niederländisch, Englisch oder Thai mit eingeflochten, sprachlich ein wenig rundgewaschen und eingerheint bis es nach Mittelrhein klingt? Ich mag diesen Dschungel und mache mich nachher wieder auf den Weg nach Hause, eine lange, gerade Straße entlang. Mal sehen, wer da grüßt, ich bin auf alles vorbereitet.
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