Mareike Rabea Knevels

Leben im Roten Turm

Barbara Höhn ist Kunstsammlerin, Galeristin, Netzwerkerin und die kreativste Bewohnerin des „Roten Turms“ von Oberwesel seit Carl Haag. Mittelrheingold-Autorin Mareike Knevels hat sie über den Dächern der Altstadt besucht und weiß jetzt, wie ein Buchstabe im Alphabet ein Leben verändern kann, wofür „DiDa“ steht und warum das Leben im Turm ein Traum ist.

Der Rote Turm in Oberwesel, illustriert von Mareike Rabea Knevels.
Illustration: Mareike Rabea Knevels

Die Galerie im Turm ist seit zwei Jahren geschlossen, doch das hindert Barbara Höhn nicht daran einzeln Menschen herzlich zu empfangen und ihnen ein Stück vom Roten Turm in Oberwesel zu zeigen.

Der Rothe Turm ist eine Besonderheit in Oberwesel: Nicht nur Barbara Höhn und ihr Ehemann nutzen ihn als Kunst- und Lebensraum, schon der Künstler Carl Haag malte darin.

Die Begegnung mit Dali

Barbara Höhn lächelt und in ihren blauen Augen ist ein Leuchten zu sehen, als wäre es erst gestern passiert. Als junges Ding, sagt sie, etwa mit 18 Jahren sei sie durch Bochum gelaufen. Dort lebte sie damals mit ihren Eltern und habe in einer Galerie des Städtchens ein Kunstdruck von Dali gesehen. Die Zeichnung und dass es ein Original war, lösten eine solche Faszination in der jungen Frau aus, dass sie das Bild kaufen musste. Die Galeristen ganz angetan von der Begeisterung der jungen Frau, ließ Barbara das Bild abstottern.

Nach dem Abitur wollte Höhn etwas Kreatives machen, Cutterin werden. „Nicht vor, sondern hinter der Kamera stehen“, wollte sie. Barbara bestand die Aufnahmeprüfung an der Hochschule Nürnberg. Starten durfte sie trotzdem nicht: Wegen ihres Mädchennamens – Rigo – musste sie noch ein Jahr warten. Der erste Teil des Alphabets durfte sofort anfangen, der zweite Teil ein Jahr später.

Eine Freundin machte ihr den Vorschlag das Jahr am “Steigenberger Frankfurter Hof” zu verbringen. Barbara, die kontaktfreudig und ein offener Mensch ist, arbeitete nun im Empfang des Hotels.

„Für mich war das ein toller Job, ich konnte meine Sprachkenntnisse anwenden und fand den Kontakt zu Gästen herrlich.“ Noch zu Schulzeiten verbrachte sie ein Jahr in England und nach dem Abitur ein Jahr in Frankreich „Ich konnte nach Monte Carlo zu Fuß gehen“, lacht die heute 78-jährige.

Während ihrer Zeit in Frankfurt besuchte Höhn oft ihre Tante, die in Oberwesel lebte. Dort lernte sie ihren Mann Manfred Höhn kennen, den sie heiratete und mit ihm drei Kinder bekam. Cutterin ist Barbara Höhn nicht geworden, dafür hat die Kunst sie nie verlassen.

Die Kunst, die sie nie verließ

„In der Zeit des Kinderkriegens und Familienlebens war die Kunst vielleicht nicht mehr ganz so präsent“, überlegt Barbara. In Oberwesel gründete die zierliche Frau mit den roten Haaren mit sechs Freundinnen DiDaArt, Dienstagskunst, das war 1989. Das Septett organisierte Kunstausstellungen in der “Historischen Weinwirtschaft”, wo sie sich auch regelmäßig trafen.

Über die Ausstellungen lernte sie den Künstler Otmar Alt kennen, der ganz angetan von Barbara war und ihr anbot, für ihn zu arbeiten. So pendelte Höhn immer mal wieder für eine Woche nach Hamm, wo Alt ein riesiges Anwesen hatte, organisierte Ausstellungen und knüpfte Kontakte. Sie reiste durch ganz Deutschland, kam nach England und lernte nach und nach immer mehr Künstler:innen kennen. „Das hat einfach Spaß gemacht, diese Begegnung von Lebensläufen“, sagt sie.

Der heute 84-jährige Otmar Alt hatte damals mehrere Wohnungen auf seinem Hammer Anwesen, erzählt Höhn und erinnert sich: „Er lud halbjährig junge Künstler oder Musiker ein. Die durften bei ihm wohnen und an ihren Projekten arbeiten. Es gab ein Haus für Bildhauer, in dem es Platz für riesige Skulpturen gab. Und Feste feierte Alt gerne, er hatte einen großen Saal mit einem Flügel von Schimmel. Dort spielte der Jazzmusiker Zwingenberg. Naja, und Promis kamen auch.“

Barbara Höhn lernte in der Zeit viele Leute aus der Kunstszene kennen und baute sich ein immer größeres Netzwerk auf.

Die Veränderung des Sehens

Irgendwann zog sie dann mit ihrem Mann in den Turm. „Das war schon immer unser Traum.“ Sie verkauften ihr Haus, die Kinder waren mittlerweile ausgezogen, und richteten sich dort ein, wo der deutsch-britische Künstler Carl Haag von 1865 bis zu seinem Tod 1915 gelebt hatte.

Die alten Türen mit gusseisernen Schlössern, ein eingelassenes Pult und die farbigen kleinen Glasscheiben – alles Relikte des Malers – sind immer noch in dem Gebäude mit den meterdicken Mauerwerk zu finden. Aber an den Wänden hängt nun zeitgenössische Kunst.

„Mir geht es um das, was geschieht, wenn man sich längere Zeit mit einem Bild beschäftigt“, erzählt Barbara Höhn. Die meisten Menschen, die in den Turm kommen, sind über 40 Jahre alt. Das jüngere Publikum interessiere sich nicht so für Kunst. Überhaupt habe sich das Interesse in den letzten Jahren an Originalwerken verändert,. „Das hat schon vor der Pandemie begonnen“, sagt sie nachdenklich.

„Moderne Kunst lädt den Menschen ein, sich damit zu beschäftigen, man muss sich Zeit nehmen. In ein Gespräch mit dem Gesehenen gehen.“ Natürlich wird nicht jeder Menschen gleich auf ein Bild reagieren. Es gibt Bilder, die sagen einem nicht viel, aber man müsse sich eben erst einmal drauf einlassen, findet Höhn.

Durch die bunten Glasfenster des Turms fällt Licht. Orangene Kreise wandern die Wände entlang und geben dem runden Raum einen ganz eigenen Klang. Hier im dritten Stockwerk hat man das Gefühl, weit weg von der Welt zu sein und ist umgeben von Werken der Künstler:innen Jan Schröder, Brigitta Zeumer, Otmar Alt, Dali und Daniel Thouw.

„Ein Originalbild ist etwas anderes als ein Ikea-Bild. Stehen Sie auf!“, sagt sie und wir sehen uns Daniel T.Houws „Where is My Mind“ an. Zu sehen ist ein Kopf, nach links geneigt, mit groben Pinselstrichen, vielleicht mit einer Spachtel gemalt. Es sieht so aus, als würde sich der Kopf der Person auflösen, in Fragmente zerfliegen. „Ihnen muss das Bild nicht gefallen“, lächelt sie, „aber wenn sie sich die Zeit nehmen, dann können Sie trotzdem etwas darin sehen.“

Vielleicht hat sich Qualitätsbewusstsein über die Jahre verändert, die Schnelllebigkeit der Zeit, der allgegenwärtige Konsum von Bildern, Social Media, Instagram. Vielleicht sind das Gründe, warum sich jüngere Menschen nicht mehr so für Kunst begeistern. „Und natürlich hat das auch etwas mit der jeweiligen finanziellen Situation zu tun.“

Im Blick zurück, im Blick nach vorn

Die DiDa trifft sich bis heute „Und das müssen Sie mal sehen, wie wir diskutieren, wie wir lachen. Wir sind laut, was das Zeug hält“, lacht Barbara Höhn. Ihre rote Haare sind mittlerweile zum Markenzeichen geworden. „Es gibt sogar eine Fastnachts-Imitation“, verrät sie mir.

Früher hatte die Galerie im Turm immer Mittwoch und Samstag geöffnet. „Mein Wunsch ist es, hier noch mal eine Ausstellung zu machen“, lächelt Barbara Höhn.

Und man wünscht es ihr auch, dass noch einmal Menschen durch die besonderen Räume flanieren, Werke im steilen Treppenaufgang hängen und zum Staunen einladen.

Aus Oberwesel kam auch Barbaras Vater, den ihre aus Tschechien stammende Mutter während des Krieges kennenlernte. Gemeinsam ging dann die kleine Familie ins Ruhrgebiet. Und irgendwie schließt sich doch so ein Kreis, findet sie. Jetzt lebt Barbara Höhn gemeinsam mit ihrem Mann im Roten Turm, freut sich an Kunst und genießt hin und wieder ein Glas Wein auf dem Balkon über den Gleisen.

 

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Ein Beitrag geteilt von Petra Dittmann (@petrakoenigshoff)

Die Autorin:

Mareike Rabea Knevels studierte Kommunikationsdesign und arbeitet als Dozentin, Illustratorin und Autorin. 2019 war sie Burgenbloggerin auf Burg Sooneck. Seit 2022 schreibt sie regelmäßig für Mittelrheingold. 

Im Januar 2022 erschien eine TV-Reportage über Barbara Höhn. Der 5-Minüter ist noch in der ARD-Mediathek zu sehen:

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