Mareike Rabea Knevels

Zwischen Fulguriten und Windkantern: Detlef Kleinens wunderbare Welt der Rheinsteine

Der Rhein liefert den Stoff für Detlef Kleinens Kunst: Unzähige Kieselsteine, geprägt von Zehntausenden von Jahren und über Hunderte von Flusskilometern ins Welterbetal getragen. Einen „wunderbaren Ort der vielen Dinge“ nennt Mittelrheingold-Reporterin Mareike Knevels das Atelier in St. Goarshausen, in dem Kleinen seine uralten Fundstücke ordnet und zu neuen Kunstwerken zusammenfügt. Fast 20 Jahre ging das gut. Selbst die Corona-Krise konnte Kleinen wegstecken. Aber jetzt machen ihm Krieg und Wirtschaftsflaute zu schaffen. 

Illustration: Mareike Knevels
Illustration: Mareike Knevels

„Ganz schön heiß“, denke ich und drehe den braun-grau schimmernden Fulguriten in meiner Hand. Er ist etwa 15 Zentimeter lang, leicht und fragil. Und aus einem Blitz entstanden. Ein Fulgurit ist eine Blitzverglasung, auch Blitzröhre genannt. Er entsteht durch einen Blitzeinschlag, wenn Gestein oder Sand mit Temperaturen von bis zu 30.000 Grad zusammenschmelzen.Die körnige Oberfläche des Fulgurits erinnert mich an einen abgebrochenen Korallenarm, nur eben größer und in einer anderen Farbe, ein wenig extraterrestrisch.

Das Mixtum compositum

Detlef Kleinen spricht schnell, seine dunkelblonden Locken fallen ihm zerzaust ins Gesicht. Ähnlich schnell wie seine Worte durch das Atelier fliegen, sind auch seine Bewegungen. Ein Flug von Ideen und Gedanken. Geistesblitze, denke ich, und schaue auf den zu Stein gewordenen Blitz in meinen Händen. „Die Blitzröhre könnte man dazu nutzen um Wissensvermittlung sichtbar –  nein – fühlbar zu machen.“ Vorsichtig lege ich das extraterrestrisch anmutende Gestein zurück auf den Schrank.

Detlef Kleinen ist Künstler. Er arbeite mit Steinen. Genauer gesagt mit Kieseln und größeren Steinen, die er im Rhein findet. „Mein derzeitiges Fundgebiet befindet sich rund um den Rheinkilometer 450“, heißt es auf seiner Webseite.

Vor fast drei Jahren stand ich zum ersten Mal in seinem Atelier in St. Goarshausen. Damals habe ich diesen Ort als Mixtum compositum beschrieben: „Überall stehen Kisten, aus denen Zeitungen und Zeitschriften herausquellen. Dazwischen Gläser mit Vogelfedern, ein Haufen voller Treibholz, ein Mammut-Milchzahn, eine Vitrine mit einem Weißkopfseeadler-Ei darin und Steine. Jede Menge Steine, 16 Jahre Mittelrhein in Kieseln verschiedener Größen und mittendrin seine Kunstwerke.“

Wabernde Unruhe

Fast so sieht es auch heute aus, aber nur fast. Sein Atelier wirkt leerer. Einige Kunstwerke fehlen. Und man möchte sagen: Auch die Energie, mit denen er seine Arbeiten schuf, hat sich ein wenig verloren. Sie ist einer Unruhe gewichen, die immer mal wieder durch den Raum wabert. Und Detlef Kleinen Sorgen bereitet.

„Corona habe ich gut überstanden“, sagt der Künstler, „doch seit Beginn des Ukraine-Krieges sind mir die Kund:innen und Aufträge weggebrochen.“

Materialmangel hat er nicht. Denn die Rohstoffe für seine Werke findet er vor Ort. „Die Menschen sind zurückhaltender geworden. Sie haben Angst oder Sorge ihr Geld auszugeben.“ Lebensmittel, Nebenkosten, Strom, Gas, Benzin und Öl werden immer teurer. „Kunst ist ein Luxus. Und beim Luxus sparen die Menschen als erstes.“

Der Mann, der meist olivfarbene Arbeitslatzhosen und ein schwarzes T-Shirt darunter trägt, spricht auf einmal langsamer. Seine Stimme, die sonst einem feuernden Neuronen-Netzwerk gleicht, wird schwerer: „Nächstes Jahr hätte ich mein 20-jähriges Bestehen. Mein Traum wären noch weitere sieben Jahre“, dann bricht er ab. Ob er diesen Traum leben kann, weiß er im Moment nicht.

Kunst ist mehr als Luxus

Wir sitzen im Eingangsbereich seines Ateliers. Die zwei Sessel erinnern an den Bauhaus Club Chair  – der kubische Sessel des Malers und Kunstpädagogen Josef Albers. „Vom Flohmarkt“, deutet Kleinen auf die Sessel, „ich bin absoluter Flohmarkt-Fan.“ Das Atelier von Detlef Kleinen sitzt im Ortskern von St. Goarshausen. Immer mal wieder kommt eine Nachbarin oder ein Nachbar vorbei, möchte einen Nachmittagsplausch halten und zieht dann weiter.

Doch Kunst ist nicht nur Luxus. Kunst ist auch Wissensvermittlung, Kultur und Bildung. Als Teil der Gesellschaft tragen Künstler:innen dazu bei, das ein neuer Blick über Bestehendes entsteht.

„So wie Sie unseren Rohstoff darstellen, hab ich das noch nie gesehen.“ Diesen Satz habe mal ein Kunde zu Kleinen gesagt, erinnert er sich. Und das brachte ihn zu einer Idee: der Natur- und Wissensvermittlung.

 

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Der Windkanter

Kleinen hievt einen von mehreren Seiten geschliffenen Stein auf den Tisch. „Das ist ein Windkanter.“ Der Stein stammt aus der letzten Eiszeit. „Das ist noch ein junger Stein“, lächelt Kleinen. Jede Kante des Steins wurde vom Wind transportierten Sand zu einer glatten Fläche geschliffen. Sein Exemplar ist ein sogenannter Mehrkanter. Alle Seiten sind ebenmäßig, fühlen sich weich, beinahe samtig an.

Ich fahre über die weichen Seiten des Windkanters und denke, dass ähnlich wie bei der Blitzröhre, die schönen Seiten unserer Naturereignisse sichtbar und erfahrbar werden. Wind wird greifbar und manifestiert sich in einem Stein. Das Sekundenereignis eines Blitzes bleibt gebannt in einer Blitzröhre.

Die Kunstwerke aus den Naturereignissen seien im Entstehungsprozess, sagt Detlef Kleinen.

„Aber jetzt muss ich erstmal hier aufräumen. Hier muss mehr Klarheit rein.“ Sodass seine Energie wieder Platz hat und die Sorgen aus seine Atelier vertreibt, denke ich.

Vielleicht entdecke ich Naturereignisse in Kunstwerken bei meinem nächsten Besuch in diesem Mixtum compositum, diesem wunderbaren Ort der vielen Dinge.

Über Detlef Kleinen gibt es mehrere Filmbeiträge, darunter ein YouTube-Video der Wirtschaftsförderung Rhein-Lahn:

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