Wenn die „taz“ über eine katholische Kirche in Oberwesel schreibt, kann dabei nicht viel Klerikales herauskommen. Die links-alternative Zeitung aus Berlin hat mit rheinischem Katholizismus so viel zu tun wie das Weinhaus Zum Lamm mit veganer Molekularküche. Trotzdem kommt die Stadt in der „taz“.-Wochenendausgabe besser weg als zu befürchten war. Thema des Artikels ist die Wernerkapelle an der Oberweseler Stadtmauer. Sie ist nicht halb so bekannt wie die gleichnamige Ruine oberhalb von Bacharach, aber sie geht auf dieselbe dunkle Geschichte zurück, einen angeblichen Ritualmord und Vorwand für blutrünstige Pogrome im ganzen Rheinland. Bis 1971 gab es in Oberwesel noch Werner-Prozessionen und noch bis weit in die 90er Jahre hinein hieß die spätere Loreley-Klink „St. Werner-Krankenhaus“. Mittlerweile hat sich Oberwesel von üblen Traditionen verabschiedet, wenn auch unter sanftem Druck. Das erkennt auch die „taz“ an und beschreibt den letzten Schritt zum Wexit: Nach der Umbennung in „Mutter-Rosa-Kapelle“ 2008 verschwand endlich auch das antisemitische Altarbild. Stattdessen ist jetzt eine Franziskanernonne zu sehen. Wer die ganze Geschichte wissen will: Der gebürtige Oberweseler Walter Karbach hat 2020 ein äußerst lesenswertes Buch über den Werner-Mythos veröffentlicht, erhältlich u. a. bei Franziskus Weinert im örtlichen Traditionsgeschäft Schreib- und Spielwaren Hermann: „Werner von Oberwesel: Ritualmordlüge und Märtyrerkult“. Die Kirche selbst ist übrigens allein schon wegen ihrer Lage eine Reise wert. Sie liegt wie eine bebaute Brücke über einer schmalen Altstadtgasse, oder wie die „taz“ es etwas theatralisch schildert: „Auch heute beschleunigt diese ganze lastende Schwere überm Kopf noch immer die Schritte, ganz unwillkürlich.“ taz
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