Oberwesels Bürgermeister Marius Stiehl hat weit über seine Stadt hinaus Debatten ausgelöst. Sein Votum in der entscheidenden Gesellschafterversammlung ermöglicht dem Marienhaus-Konzern, die Krankenhäuser in St. Goar und Oberwesel zu schließen. Wenn nicht noch in letzter Minute der Kreistag des Rhein-Hunsrück-Kreises eingreift, endet im September eine rund 700-jährige Krankenhausgeschichte. Es bleibt die Hoffnung auf ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Auf Mittelrheingold erklärt Stiehl u. a., wie der umstrittene Beschluss zustande kam und wie sich die Stadt in Zukunft engagieren möchte.
Seit wann wissen Sie, dass die Existenz der Loreley-Kliniken in Frage steht? Der frühere Verbandsbürgermeister Thomas Bungert hat erklärt, dass man bereits seit einem Jahr für den Weiterbetrieb kämpft. Vor einem Jahr wurde aber mit Sozialministerin Bätzing-Lichtenthäler auf das 22-Millionen-Programm zur Zukunftssicherung der Kliniken angestoßen. Sie waren damals bereits Beigeordneter der Stadt Oberwesel. Können Sie den Widerspruch erklären?
Ich denke ,was Herr Bungert meint, ist die Frage: Wie richtet man einen Klinik-Betrieb zukunftsfähig aus bzw. welche Art von Klinik wird künftig am Standort Oberwesel noch betriebswirtschaftlich funktionieren? Ich selbst habe erst am 11. Oktober 2019 erfahren, dass der ganze Klinik-Betrieb in Frage steht. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Stellungnahme seitens des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums zu den Plänen der Marienhaus Kliniken GmbH. Hier hatten wir uns Unterstützung erhofft bzw. eine Aussage zu dem Gutachten der Aktiva. Die Beigeordneten und die Vorsitzenden der im Stadtrat vertretenen Fraktionen habe ich direkt am 14. Oktober 2019 und weiter am 23. Oktober 2019, nach einem Besuch bei der Gesundheitsministerin Bätzing-Lichtenthäler vollumfänglich informiert. Vor meinem Amtsantritt als Stadtbürgermeister von Oberwesel am 19. August 2019 war ich in den Gesellschafterversammlungen nicht eingebunden. Vielmehr hatte ich die Hoffnung nach dem Besuch der Ministerin, dass die Baumaßnahme bald beginnen würde.
In der Diskussion um die Schließung der Kliniken argumentieren Sie vor allem betriebswirtschaftlich. Die Stilllegung betrifft aber nicht nur die reine Krankenhaus-Ökonomie, sondern auch die Wirtschaft- und Kaufkraft in Ihrer Stadt. Wie bewerten Sie den volkswirtschaftlichen Schaden für Oberwesel und die Region?
Ich habe das Finanzierungssystem der Krankenhäuser nicht erfunden und bin auch nicht für die bundes- und landespolitischen Entscheidungen verantwortlich, sondern muss mich der Realität beugen und habe auch sehr viel in den letzten Wochen und Monaten von anderen Trägern erfahren. Auch andere Träger leiden unter den aktuellen Rahmenbedingungen, aber ich denke, da erzähle ich Ihnen nichts Neues. Ich kann keinen volkswirtschaftlichen Schaden beziffern. Das hängt vor allem auch von der Folgenutzung und der künftigen Ausrichtung ab.
Der Marienhaus-Konzern hat gedroht, Insolvenz für die Krankenhaus-GmbH anzumelden, wenn Sie die Schließung der Krankenhäuser nicht ermöglichen. Wäre ein solcher Insolvenzantrag juristisch alternativlos gewesen oder wurde hier Druck ausgeübt, um ein Abstimmungsergebnis im Interesse der Marienhaus-Gruppe zu erreichen?
Gedroht ist sicherlich nicht der richtige Begriff, und Druck wurde auch nicht ausgeübt. Ich habe mich bei meiner Entscheidung, die ich zuvor mit den Beigeordneten und Fraktionsvorsitzenden abgestimmt hatte, auf die rechtliche Stellungnahme der Dornbach GmbH gestützt, der die Fortführungsprognose der Krankenhausgesellschaft zugrunde lag. Und die war eben negativ, leider. In der nicht-öffentlichen Stadtratssitzung vergangenen Montag, am 27. April 2020, hat der Stadtrat es mit einer deutlichen Mehrheit für richtig befunden, dass sich die Stadt Oberwesel durch meine Person in der Gesellschafterversammlung enthalten hat.
Ein Gesellschafter, der wie im Herbst 2019 ohne Rechtsgrundlage öffentlich die Schließung eines Unternehmens ankündigt und einige Monate später über Insolvenz spekuliert, fügt dem Betrieb unter Umständen schweren Schaden zu. Davon wäre auch die Stadt Oberwesel als 25 Prozent-Teilhaberin betroffen. Prüfen Sie Regressforderungen?
Auf diese Frage kann ich Ihnen heute noch keine Antwort geben.
Wann findet eine Inventur des Klinik-Eigentums statt und werden vorab Sie informiert, wenn Marienhaus Material und Maschinen aus Oberwesel für andere Kliniken ausleiht?
Mit der Geschäftsführung ist gemäß Gesellschaftervertrag die Marienhaus Kliniken GmbH beauftragt, die auch 55 Prozent Anteile an der Krankenhaus GmbH St. Goar-Oberwesel innehat. Der Klinik-Betrieb läuft ja bis 30. September 2020 weiter. Ich wüsste nicht, dass derzeit eine Inventur gemacht wird. Aus der Klinik wurden wegen der Corona-Krise Beatmungsgeräte an andere Krankenhäuser (Corona-Schwerpunktkrankenhäuser) ausgeliehen, das wissen wir. Eins ist in Oberwesel für den Fall der Fälle verblieben. Ansonsten ist das Inventar der Klinik meines Wissens vor Ort. Das hat auch der Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH St. Goar-Oberwesel, Herr Dr. Reimund, in der nicht-öffentlichen Stadtratssitzung am 27. April 2020 den Ratsmitgliedern bestätigt.
In der RZ haben Sie angedeutet, dass Sie die Gesellschafterstruktur der Krankenhaus GmbH für nicht mehr zeitgemäß halten. Stehen Sie weiterhin zur Krankenhaus GmbH oder können Sie sich vorstellen, dass die Kommunen ganz aussteigen, wenn ein größeres und profitableres Seniorenheim gebaut ist?
Ich habe gesagt, dass das Modell aus der Historie heraus entstanden ist und es ein solches heute wohl kaum noch irgendwo gibt. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Stadt aus der GmbH aussteigt, schließlich gilt es nun mehr denn je die Zukunft der medizinischen Versorgung in Oberwesel und im Umkreis mitzugestalten. Außerdem gehört ein Großteil der Grundstücke der Stadt Oberwesel.
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