Der Hamburger Gartenschau-Profi Sven Stimac übernahm die Bundesgartenschau-GmbH in schwierigem Fahrwasser. Gründungschef Berthold Stückle war gestorben, das Projekt ohne Führung, die Kooperationspartner geschockt, das Team verunsichert. Stimac brachte die Buga gemeinsam mit Prokurist und Kommunikationschef Andreas Jöckel wieder auf Kurs und traf dabei Entscheidungen, die nicht allen gefielen. Anders als ursprünglich geplant, wird Bacharach und nicht Trechtingshausen einer der zentralen Buga-Orte 2029. Im Interview mit Mittelrheingold nennt Stimac die Gründe, erzählt, was ihn am Mittelrhein wundert, und erklärt, warum das ganze Tal von der Bundesgartenschau profitiert.
Sven, du bist jetzt ein halbes Jahr Buga-Geschäftsführer. Was hat dich in dieser Zeit am meisten überrascht?
Es freut mich sehr, dass ich viele besondere Menschen und Orte im Welterbe Oberes Mittelrheintal kennenlernen durfte. Aber die Listen der Menschen, die ich noch treffen will, und der Dinge, die ich mir noch genauer ansehen will, sind immer noch lang. Bislang überrascht mich schon, wie wenig das Bewusstsein dafür geschärft ist, dass es eine große Chance ist, sich von Rüdesheim bis Koblenz gemeinsam als Region zu vermarkten. Überraschend ist auch die Kluft zwischen den erfolgreichen, zuversichtlichen Investoren und Gastgebern, die proaktiv auf Weiterentwicklung setzen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gibt es die, die den Schritt in Richtung Optimismus und Chancen zu erkennen, aus verschiedensten Gründen nicht schaffen. Aber die Buga 2029 will ja genau daran arbeiten: Einerseits die Identifikation mit dieser einzigartigen Heimatregion fördern und die Willkommenskultur stärken. Andererseits neue Ideen entwickeln, die ein lebenswertes Zuhause für Einheimische und erlebnisreiche Tage für unsere Gäste bieten.
Du hast schon eine weitreichende Entscheidung getroffen ….
Im Rahmen meiner ersten Wochen haben wir die Buga-Entwicklungsprojekte überprüft und Bacharach, anders als zunächst geplant, zu den zentralen Buga-Standorten hinzugefügt. Warum? Wir sind eine dezentrale Gartenschau über eine Länge von 67 Rheinkilometern. Damit unsere Gäste sich wohlfühlen und damit die Buga gGmbH auch geplanten Einnahmen erzielen kann, brauchen wir mehrere eintrittspflichtige Flächen, die hinreichend groß sind. Das sind ca. 15 Hektar pro Gelände, um die Besucher einige Stunden zu unterhalten. Anschließend laden wir ein, noch die Attraktionen in der Umgebung zu besuchen, um den Tag abzurunden. Wir gehen in diesem Jahr mit den drei Planungswettbewerben an den Start. Die Flächen dafür wurden uns von den Kommunen gemeldet. Derzeit sind die Rheinufergelände in Lahnstein und Bacharach sowie der Hafenpark in Rüdesheim die einzigen Flächen für unsere Investitionen, die ausreichend groß sind. Anstelle von Bacharach war ursprünglich das Loreley-Plateau als dritte Fläche vorgesehen. Doch dort stehen nicht alle erwarteten Grundstücke zur Verfügung. Dennoch rechnen wir fest damit, in einem zweiten Schritt nach dem Start der Wettbewerbe einen vierten Standort im zentralen Tal bei den Schwesterstädten St. Goar und St. Goarshausen zu schaffen. Dabei sollen die Loreley und die Burg Rheinfels einbezogen werden.
Eigentlich war Trechtingshausen vorgesehen. Geht der Ort jetzt leer aus?
Vorab muss ich sagen, dass wir alle 2021 beschlossenen Entwicklungsprojekte weiter prüfen werden. Auch in Trechtingshausen haben wir die Situation, dass es aufgrund der geringen Größe der Fläche keinen eintrittspflichtigen Bereich am Rheinufer geben kann. Die Buga wird Ende 2029 weg sein. Bis dahin muss es touristische Konzepte für die Zukunft geben, die weit über die Buga-Gelände hinausgehen. Trechtingshausen hat in Verbindung mit den Burgen Reichenstein und Rheinstein sowie der Burg Sooneck in Niederheimbach großes Potenzial. Außerdem gibt es Investoren, die neue Übernachtungsmöglichkeiten und Gastronomie sowie einen Dorfladen schaffen. In die Burg Sooneck wird die Generaldirektion Kulturelles Erbe investieren. Bei den Überlegungen, wie das alles in ein erfolgreiches Gesamtkonzept gegossen werden kann, unterstützen wir die Akteure vor Ort: Politik, Bürger und Investoren.
Der Lorcher Bürgermeister Ivo Reßler sprach im vergangenen Jahr davon, dass die Buga- Euphorie abgeflaut und neu entfacht werden müsste. Ist das auch dein Eindruck?
Die Buga 2029 musste sich aufgrund der schweren Krankheit und des Verlusts des Geschäftsführers im letzten Jahr neu aufstellen, sodass ich begreife, dass dieser Eindruck entstehen kann. Mein Eindruck ist aber ein völlig anderer: Oft rennen mein Team und ich mit unseren Ideen und Anregungen offene Türen ein. Ich würde eher vom Enthusiasmus vieler Menschen sprechen, denn dieser will verändern. Egal ob Gastgeber, Händler, Berufspendler oder Freiberufler, die Menschen sprechen mich durchaus auch emotional kritisch auf Probleme an: Schwierige Betriebsnachfolge, Leerstand, Fachkräftemangel, Bürokratie, Inflation und so weiter. Aber aus ihnen spricht Begeisterung, sie sind lösungsorientiert. Die Fragestellungen aus diesen Gesprächen kann man dann in die tägliche Arbeit mitnehmen und nach möglichen Hilfestellungen Ausschau halten.
Wegen Corona, Strukturwandel, Wirtschaftskrise und Fachkräftemangel gibt es im Tal noch mehr Leerstand als vor 5 oder 6 Jahren. Die Buga-GmbH kann keinen Einzelhandel und keine Gastronomie hervorzaubern, aber sie ist auf lebendige Orte mit guten Angeboten für Besucher angewiesen. Macht dir das Sorge?
Zaubern können wir nicht, Impulse setzen sehr wohl. Mein Motto ist stets: Wenn ich mir Sorgen mache, muss ich etwas unternehmen. Aber im Ernst: Wir haben den Leerstand nicht nur als zentrales Problem im Oberen Mittelrheintal erkannt, sondern auch als ein Stellrad, mit dem man die Entwicklung zum Positiven drehen könnte. Mit meinem Team arbeite ich daran, wie neue Konzepte gegen den Leerstand umgesetzt werden könnten, die teils von Hochschulen bereits erarbeitet wurden. Die Buga 2029 allein kann das nicht ändern, aber gemeinsam mit den Kommunen, den Hochschulen, den Wirtschaftsförderern, Bürgerinitiativen und potenziellen Investoren schon. Denn nicht zuletzt spielen die Privatinvestitionen im Zuge der Entwicklung von Gartenschauen eine wesentliche Rolle. Mit den geplanten Buga-Bürgerprojekten wollen wir unter anderem zeigen, wie das aussehen könnte. Mehr kann ich dazu jetzt noch nicht verraten. Vielleicht führen wir zu dem Thema in ein paar Monaten ein eigenes Interview.
Sehr gerne. Das ursprüngliche Anliegen der Bundesgartenschau ist ja Begrünung. In den historischen Ortskernen am Mittelrhein könnte Begrünung irgendwann überlebenswichtig sein, um Wetterextremen wie Hitze und Starkregen zu begegnen. Welchen Beitrag kann die Buga leisten?
Wir vermitteln mit unserer Gartenschau natürlich auch den Wert von Grünflächen, Natur und Biodiversität sowie die Wertschätzung und Freude daran. Man kann vom Überbegriff Umwelt-Bildung sprechen. Dazu werden verschiedene Lern- und Vermittlungskonzepte für Kinder, Schulklassen und Erwachsene ausgearbeitet. Auch das wirkt nach. Im Vorfeld der Gartenschau arbeiten wir mit den Hochschulen zusammen, um Themen wie Nachhaltigkeit und Regionalentwicklung zu diskutieren. Grundsätzlich greift hier wieder ein Rad ins andere. Wir haben eben über den Leerstand in Ortskernen gesprochen. Zur Thematik gehören auch Aufenthaltsqualität, Gestaltqualität, Kultur und Begrünung mit entsprechenden Anforderungen hinsichtlich des Klimawandels. Mit unseren Buga-Flächen und Bürgerprojekten können wir Modellprojekte schaffen, die als Anregung für weitere Projekte dienen. Was mir in diesem Zusammenhang noch besonders wichtig ist: die der Wassernutzung und -versorgung. Einerseits benötigen wir Zisternen zur Wasserspeicherung. Andererseits soll auch genug Wasser versickern und gebunden werden um den Grundwasserspiegel zu erhöhen. Dabei zählen wir ebenfalls auf den Dialog und die Forschung mit Hochschulen, Winzern und den grünen Berufsständen.
Jetzt haben wir viel über Probleme und Herausforderungen gesprochen. Was macht dich optimistisch?
Insbesondere meine ehemaligen Kollegen – zahlreiche aus den Niederlanden –, meine Familie viele Freunde, die mich im Oberen Mittelrheintal besuchen und begeistert von der Region und unserem Projekt sind. Sie sehen auch das enorme Potenzial der Region. Das schafft Zuversicht und Vertrauen! Wir leben und arbeiten hier in einem Welterbe – in einer wunderschönen Kulisse mit einer einzigartigen Kulturlandschaft und Baudenkmälern. Mein Team und ich arbeiten mit viel Herzblut daran, das Projekt Bundesgartenschau 2029 zu einem Erfolgsprojekt für die Weiterentwicklung der Region zu machen. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir die Aufgabe gemeinsam mit den Menschen in der Region meistern werden.
Zur Person: Sven Stimac stammt aus der Unesco-Welterbestadt Lübeck. Er plant, organisiert und berät seit über 20 Jahren Gartenschauen und andere große Veranstaltungen in unterschiedlichen Erdteilen. Der diplomierte Physiker war bei der Expo 2000 in Hannover für Betrieb und Sicherheit zuständig und betreut seitdem große Gartenschau-Projekte in den Niederlanden, Katar, Taiwan und der Türkei.
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