Bürokratieabbau wird eines der großen Themen der neuen Bundesregierung. Erstmals gibt es sogar ein eigenes Ministerium für „Staatsmodernisierung“. Am Mittelrhein müsste man nicht darauf warten. Hier ließe sich schon auf unteren Ebenen das eine oder andere Problem lösen. Ein typisches Beispiel heißt „GastVO“ und ist über 50 Jahre alt. Was Ende 1971 vom damaligen rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Heinrich Holkenbrink unterschrieben wurde, hat sich zum Wettbewerbsnachteil für Existenzgründer in Rheinland-Pfalz ausgewachsen. Die „Landesverordnung zur Ausführung des Gaststättengesetzes“ – so der vollständige Name – schreibt u. a. die Zahl der WCs in einer Gaststätte vor. Demnach müssen selbst wohnzimmergroße Lokale mindestens 2 Toiletten einrichten – eine für Frauen, eine für Männer. Das gilt ausdrücklich auch für Vinotheken. Entscheidend ist, das Alkohol ausgeschenkt wird, im Welterbetal eine durchaus geläufiges Geschäftsmodell. Kein Trost für angehende Gastronomen in Kaub oder Bacharach ist, dass die strenge WC-Regel nur in Rheinland-Pfalz gilt. Wenige Kilometer weiter im hessischen Lorch sehen es die Behörden nicht so eng, dort sind wie überall im Bundesland in kleine Lokalen so genannte Unisex-Installationen erlaubt – also eine einzige Toilette für alle Geschlechter. Und niemand versteht, warum das nicht auch in Rheinland-Pfalz möglich sein soll. Benedikt Seemann, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe, muss sich an das geltende Recht aus Mainz halten, überzeugt ist er aber nicht: Die rechtliche Grundlage sei „strenger als notwendig“, findet er. O-Ton: „In Zeiten von mobilen Gastro-Konzepten, Food Trucks und Pop-up-Gastronomie sollte der Gesetzgeber darüber nachdenken, ob diese Verordnung noch zeitgemäß ist.“ Laut Seemann könnte sich Rheinland-Pfalz „ruhig an der Regelung Hessens orientieren.“ Weniger klar in der Unisex-Frage ist ausgerechnet der Branchenverband Dehoga. In der Gastronomen-Lobby gilt das Thema als heikel. Für Existenzgründer seien die Sanitär-Auflagen ärgerlich, räumt man ein. Allerdings vertritt die Dehoga weniger die Newcomer als die etablierten Gastronomen, die mit der „GastVO“ ihren Frieden gemacht und entsprechend investiert haben. „Uns geht es um professionelle Gastgeber“, sagt Gereon Haumann, Landesvorsitzender der Dehoga in Rheinland-Pfalz, im Gespräch mit Mittelrheingold. Ihm schwebt eine Art Tauschhandel vor: Deregulierung bei baulichen und anderen Auflagen gerne, aber im Gegenzug sollten die Hürden für die Existenzgründung erhöht werden. „Heute genügt eine kurze Einführung in die Hackfleischverordnung, um ein Restaurant zu eröffnen“, kritisiert er. Besser wäre es, wenn jeder neue Wirt in Zukunft eine abgeschlossene gastronomische Ausbildung nachweisen müsste. Es wäre eine typisch deutsche Maßnahme zum Bürokratieabbau: Eine Regel abzuschaffen, um eine noch weitreichendere einzuführen.
Foto: Andreas Pacek, fototour-deutschland.de / Romantischer Rhein Tourismus GmbH / CC BY 4.0
Ladenschluss in Oberwesel
34 Jahre lang führte Roland Schmelzeisen das Uhren- und Schmuckgeschäft seiner Familie in Oberwesel. Jetzt räumt er den Laden aus und setzt sich zur Ruhe. Auf der Website des Oberwesler Gewerbevereins blickt er zurück. Wie viele Oberweseler hätte er eine stärkere Förderung der Innenstadt gewünscht: „Statt früh auf kleine Unternehmen zu setzen, hat man zu sehr aufs Industriegebiet gesetzt.“ Tatsächlich gibt es in der historischen Stadtmitte schon seit Jahren weder Lebensmittelgeschäft noch Metzgerei. Stattdessen wachsen Supermärkte und Discounter im gut einen Kilometer entfernten Gewerbegebiet. Schmelzeisen gibt den inhabergeführten Einzelhandel trotzdem nicht verloren: „Wer auf Qualität, guten Service und Nachhaltigkeit setzt – also repariert statt wegwirft – hat hervorragende Chancen.“ Unternehmen für Oberwesel (Website des Gewerbevereins)
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