Wahlkämpfe führen manchmal zu merkwürdigen Veranstaltungen, Allianzen und Schlagzeilen. Dazu zählt ein Pressetermin von Landratskandidatin Rita Lanius-Heck vor einer Oberweseler Bahnschranke, dokumentiert, fotografiert und inszeniert von der „RZ“. Unter der saftigen Überschrift „Bahnlärm im Rheintal: Dem Terror endlich Einhalt gebieten“ berichtet die „RZ“ über ein Treffen Lanius-Hecks mit dem vermutlich radikalsten aller Bahnlärmgegner am Mittelrhein, dem Bopparder Werber Frank Groß. Wo andere Aktivisten auf fein dosierten Druck, Verhandlungen und Dialog setzen, wählt Groß die Wut. Seine Kommunikation erinnert an Populismus-Bewegungen im Osten: Das Volk ist in Gefahr und schuld sind immer unfähigen Politiker und natürlich die Bahn. Für ihn ist Bahnlärm kein komplexes Problem, das gelöst werden muss, sondern etwas viel Gefährlicheres: „Terror“. In der Welt der gefühlten Terrorexperten ist alles sehr einfach. Lärmschutzmaßnahmen bringen nichts, die Bahn lügt, Gespräche sind sinnlos und Beamte beschränkt. Selbst „Primaner“* würden begreifen, dass Lärm krank macht, sagt Groß laut „RZ“, „aber Staatsbeamte im Bundesverkehrsministerium scheinbar nicht.“
Groß fordert Tempo 50 auf der Rheinstrecke und will sein Ziel erreichen, indem er das Ergebnis einer Umfrage an den neuen Verkehrsminister Volker Wissing schickt. Dass Wissing das Dokument liest, glaubt Groß laut „RZ“ zwar selbst nicht, aber um Austausch geht es schon lange nicht mehr. Im November 2020 sind Groß und sein Verein „Pro Rheintal“ mit Schimpf und Getöse („Verarschung“, „die Bahn kriegt nichts gebacken“) aus dem regionalen Beirat „Leiseres Mittelrheintal“ ausgetreten, einem runden Tisch mit Vertretern von Bahn, Politik und Bürgerinitiativen. Rhein-Zeitung (Lanius-Termin, Bezahlschranke), Wochenspiegel (über „Leiseres Mittelrheintal“, 2020). Pro Rheintal (Website von Groß‘ Bürgerinitiative)
* Anm.. d. Red: In der ersten Version stand, Frank Groß habe von „Primaten“ gesprochen. Tatsächlich ist im Original-Zitat von „Primanern“ die Rede. Danke für den Hinweis, wir bitten um Entschuldigung.
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Die Art und Qualität von Kommunikation lässt immer mehr zu wünschen übrig. Diese Leute verstehen nicht wie ihr Verhalten und die Wörter, die sie raus schreien und auf riesige rote Plakate drucken unserer Region schaden. Sie haben keine Ahnung von positiver und negativer Verstärkung. Kein Mensch hier ist glücklich mit dem Bahnlärm und es muss was getan werden, ohne Frage. Rote Transparente sind Umweltverschmutzung im Welterbe und kein Tourist will lesen: Bahnlärm macht krank.
Was finden Sie merkwürdig an einer Veranstaltung, wenn der Sprecher einer Bürgerinitiative wie Herr Frank Groß, sich mit der örtlichen Landratskandidatin Frau Rita Lanius-Heck vor einer Bahnschranke trifft, um öffentlichkeitswirksam zu dokumentieren, welches Schindluder die Bahn mit der Gesundheit der Menschen treibt und so tut, als sei es ihr von der Natur gegebenes Recht ganze Regionen, Städte und Gemeinden mit Lärm, Erschütterungen, Feinstaub und Dreck zu überziehen.
Der Lärm von mehr als 200 Güterzügen pro Rheinseite lässt das gesamte Flusstal nachts nicht zur Ruhe kommen und trifft je nach Lage mit mehr oder weniger Wucht mit Spitzenwerten von über 110 Dezibel auf die Gebäude und seine darin schlafenden Bewohner. Wie würden Sie das bezeichnen, wenn Ihnen das jede Nacht widerführe?
Die Erschütterungen sind so heftig, dass sie Betten zum Schwingen bringen, Gläser in den Schränken klingeln und Keramikfliesen in Bädern und Küchen springen lassen. Der Feinstaub, den man ja bekanntlich nicht sehen kann, dringt nicht nur in alle Ecken, sondern vor allem auch in die Atmungsorgane. Der Abrieb der Oberleitungen setzt sich an Häusern und auf dem Lack der abgestellten Pkw fest.
Mein Tipp: Betrachten Sie sich bei Gelegenheit die Innenseiten der ehemals hellfarbigen Schallschutzwände und urteilen Sie dann über die Schmutzbelastung, die von den Anwohnern getragen werden muss.
Zugegeben: Der Begriff „Terror“ ist per Definition nicht ganz korrekt. Aber die Menschen, die an der Bahnstrecke leben müssen, denn nicht alle können so mir nichts Dir nichts ihre Häuser, die zum Teil schon lange vor der Bahn dort waren, verlassen und an einen anderen Ort ziehen, empfinden dies so. Wenn beispielsweise Gleisbauarbeiten nachts direkt in einem Wohngebiet stattfinden und das kommt sehr häufig vor und meist am Wochenende oder an Feiertagen, werden diese fast immer bei laufendem Fahrbetrieb durchgeführt. Um die Arbeiter zu warnen, stellt die Bahn sogenannte Rottenwarnanlagen auf. Diese haben etwa alle 30 – 40 Meter ein Signalhorn in der Lautstärke von 140 Dezibel, die bei jeder Vorbeifahrt eines Zuges ertönen. Gleichfalls bei passierenden Arbeitsmaschinen. Das ist bei der Menge der Züge unerträglich. Dass die Menschen dann von Terror sprechen ist sicher verständlich.
Dass Sie Herrn Groß als einen radikalen, vermutlich den radikalsten Bahnlärmgegner im Mittelrhein bezeichnen, halte ich für äußerst unsachlich und ein Zeichen dafür, dass Sie sich mit dem Thema Schienengüterverkehr und Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm nicht wirklich befasst haben. Wenn, wie Sie sagen, andere Aktivisten auf fein dosiertem Druck, Verhandlungen und Dialog, Erfolge im Zusammenhang mit der Beseitigung von Bahnlärm erzielt haben, so waren das meist lokal begrenzte Zugeständnisse der Bahn, von denen im weiteren Verlauf der Stecke nach wenigen Kilometern nichts mehr zu merken ist.
Bei Ihren recht mangelhaften Recherchen ist Ihnen offenbar entgangen, dass im Mittelrheintal noch die „Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn e.V.“ mit dem Vorsitzenden Willi Pusch existiert, der sich seit über 20 Jahren gegen die negativen Auswüchse des ständig anwachsenden Schienengüterverkehrs engagiert, der auch ich angehöre.
Wir haben mit unserer Bürgerinitiative seit 15 Jahren bereits mehrere Großdemonstration mit zum Teil über 1500 Teilnehmern organisiert. Eine in Bingen am Rhein, drei in Rüdesheim, wo ein Güterzug auf dem Bahnübergang für 1 Stunde an der Weiterfahrt gehindert worden ist, zwei Demos in Koblenz, zwei Demos in Bonn, eine Demo vor dem Bahn-Tower in Berlin, etliche Mahnwachen vor jeder Sitzung des „Beirats leiseres Mittelrheintal“ und jede Menge Mahnwachen beim alljährlichen „Tag gegen Lärm“. Viele mit überparteilicher Unterstützung der örtlichen Kommunal- Kreis- und Landespolitiker und Politikerinnen.
Groß fordert Tempo 50 auf der Rheinstrecke. Auch wir halten das für angemessen hinsichtlich der häufigen Gefahrguttransporte und der vielen schweren Unfälle in den letzten Jahren auf der Transit-Bahntrasse im Mittelrheintal (nachzulesen im Unfallbericht des Eisenbahnbundeamtes).
Wenn Herr Groß das Ergebnis seiner Umfrage, deren Inhalt mir nicht bekannt ist, an den neuen Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing schicken will, so halte ich das unter dem Grundsatz „Steter Tropfen höhlt den Stein“ für sehr gut und wünsche ihm Glück.
Auch unsere Bürgerinitiative hatte im Februar 2011 eine auf vier Wochen begrenzte, von den Kommunalverwaltungen unterstützte Umfrage in Oberwesen, St Goar, Lorch, Osterspai, Lahnstein, Geisenheim, Oestrich-Winkel und Walluf durchgeführt und die Bürger und Bürgerinnen gebeten, ihre Belastungen durch den Schienengüterverkehr darzustellen. In vorgefertigten Listen konnten die Intensität des Lärms und der Erschütterungen, sowie frei formulierte Bemerkungen eingetragen werden.Die Auswertung der Rückläufe erbrachte 1615 Beschwerden über extrem laute Güterzüge, 792 Beschwerden über schwere Erschütterungen, 729 Beschwerden über mittlere Erschütterungen und 139 Bemerkungen über leichte Erschütterungen. 291-mal schilderten Anwohner und Anwohnerinnen in schriftlichen Anmerkungen und Briefen in bemerkenswerte Weise die extremen Auswirkungen des nächtlichen Schienengüterverkehrs, die dadurch unzumutbare Belastungen und die Verzweiflung der Menschen links und rechts der Bahnlinie.
Wir haben diese Dokumentation dem damaligen Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Volker Bouffier, sowie der ehemaligen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel jeweils persönlich übergeben. Die Erhebungen gingen schriftlich an das Eisenbahnbundesamt, an die Abgeordneten des Deutschen Bundetages und an alle beteiligten Kommunal- und Kreisverwaltungen. Eine Resonanz darauf ist bisher ausgeblieben.
Dass Sie Herrn Groß auch noch üble Beleidigungen gegen die Staatsbeamten im Bundesverkehrsministerium unterstellen, finde ich besonders infam und nicht zu entschuldigen. Herr Groß hat niemals behauptet „PRIMATEN“ würden begreifen, dass Lärm krank macht aber nicht die Beamten im Bundesverkehrsministerium. Bei genauer Sichtung des Zeitungsartikels in der RZ müsste Ihnen als erfahrener Journalist aufgefallen sein, dass Herr Groß von „PRIMANERN“ gesprochen hat, was sicherlich einen komplett anderen Sinn ergibt.
Ich behaupte: Sie reden in Ihrem Blog wie der „Blinde von der Farbe“.
Abschießend möchte ich noch hinzufügen, dass es absolut nicht einzusehen und zu akzeptieren ist, dass die Menschen an den Bahnlinien die Zeche mit ihrer Gesundheit und ihrem Eigentum bezahlen sollen, dass die Bahnmanager sich die Taschen vollgesteckt haben und das heute noch tun, während die Verantwortlichen Politiker tatenlos zusehen, wie die Bahn in Deutschland weiter in Grund und Boden gewirtschaftet wird. Das wäre bei vernünftiger Planung nicht notwendig. Die Bahn gehört uns allen und kann nicht wie ein Wirtschaftsbetrieb mit Gewinnmaximierung geführt werden. Sie dient der Daseinsfürsorge. In vorderster Linie muss immer der Mensch und seine Gesundheit stehen.
Ich hoffe, ich habe Sie mit meinen Anmerkungen etwas zum Nachdenken angeregt. Insbesondere zur Problematik „Bahnlärm“ und „Wutbürger“, um sich etwas mehr in die absolute Notsituation der Bahnanlieger zu versetzen.