Frank Zimmer

„Bacharach braucht einen höherwertigen Tourismus“

Kunsthistoriker, Architekturkritiker und Mittelrhein-Enthusiast: Hans-Lothar Huhn

Hans-Lothar Huhn ist Kunsthistoriker, Architekturkritiker und seit seinem ersten Bacharach-Besuch verliebt in die Hauptstadt der Rheinromantik. Er kaufte am Steeger Tor ein Fachwerkhaus aus der Barockzeit, sanierte es gemeinsam mit seinem australischen Mann Jason und vermietet es als „Gingerbread Guesthouse“ („Lebkuchenhaus“) an Touristen aus aller Welt. Gerade läuft sein zweites Projekt, die Renovierung eines früheren Geschäftshauses im Herzen der Stadt. Bei allem Mittelrhein-Enthusiasmus besitzt Hans-Lothar einen scharfen Blick für die Realitäten in der Region und obwohl sein Charme jeden italienischen Diplomaten beeindrucken würde, kann er durchaus unbequeme Wahrheiten formulieren. Im Sommerinterview mit Mittelrheingold spricht er u. a. über verschlimmbesserte Mittelrhein-Häuser und ihre behutsame Sanierung, neue Ideen für historische Ortskerne und einen gruseligen Plan für die vermeintlich tote Zeit im November.

Hans-Lothar, warum Bacharach?

Es gibt eine Menge gute Gründe. Die Schönheit des Städtchens, der Natur und der Kulturlandschaft, die noch vorhandene historische Struktur, der exzellente Riesling, das angenehme Kleinstadtgefühl mit Anbindung an die urbanen Zentren, die freundlichen Begegnungen und das unglaubliche Potential, dieses Tal touristisch wieder ganz nach vorne zu bringen.

Nach deinem ersten Haus kam irgendwann das zweite. Welche Erfahrungen hast du beim Sanieren gemacht und auf welche hättest du gerne verzichtet? 

Die größte Herausforderung ist meistens nicht die Bausubstanz, sondern die letzte Renovierung. Darum muss man fast jedes Haus im Mittelrheintal erst einmal de-renovieren. Bei dem Versuch, an die  Nachkriegsmoderne heranzukommen, wurde ab den 60er Jahren vieles verschlimmbessert. Also muss das vermeintlich Neue raus und das gute Alte wieder rein. Die Substanz der meisten Häuser ist ja in Ordnung, zumindest von außen. Aber drinnen wurden sie oft zu Tode renoviert. Zum Glück entdeckt man viel Historisches und Schönes unter all den Rigipsplatten und Verschalungen, und dann bekommen die Häuser wieder das Innenleben, das sie verdienen. 

Das Tal braucht neue Ferienwohnungen, vor allem solche mit altem Charme und moderner Dusche. Aber wie viele davon verträgt eine Stadt wie Bacharach? Frisst Airnb irgendwann den Wohnungsmarkt auf?

Also wenn wir ganz ehrlich sind, zieht die durchschnittliche junge Familie lieber in den Neubau auf den Höhendörfern mit Doppelgarage und viel Freifläche drumherum. Die Bacharacher Altstadt ist für diese Zielgruppe eher schwierig, es sei denn man verwandelt alle ehemaligen Geschäfte in Garagen mit dekorativen Garagentoren davor. Das scheint bei manchen Leuten immer noch der Inbegriff von Luxus zu sein, was natürlich dem Stadtbild überhaupt nicht hilft. Ich finde, Bacharach braucht vor allem höherwertigen Tourismus. Aber der entwickelt sich nur, wenn man etwas Besonderes bietet, etwas Einzigartiges, was es im Speckgürtel-Reihenhaus nicht gibt. Darum brauchen wir mehr gut gestaltete Ferienwohnungen in 1A-Lagen der Stadt, die dann wiederum kaufkräftige Touristen bringen. Davon profitieren am Ende alle, denn ohne die Touristen wären Städte wie Bacharach tot, dann gäbe es außer dem Zug nach Mainz gar nichts mehr. Für mich ist guter Tourismus auch kein Ausverkauf. Ich sehe das eher so, dass ich mein Haus mit anderen Menschen teile. Allein wäre es doch viel zu groß für mich und meinen Mann, und so können andere Bewunderer des Rheintals das auch genießen. 

Auf Instagram bist du längst ein Mittelrhein-Influencer geworden, der seine Begeisterung für das Tal teilt und damit unbezahlbare Werbung für den Mittelrhein macht. Gibt es Dinge, die dich trotzdem stören?

Ja, es ist wunderschön, einmalig und romantisch hier und gerade deshalb ist es wichtig, zunächst einmal den Wert dieser herausragenden Kulturlandschaft zu erkennen, um sie dann zu bewahren und nicht zu zerstören oder zu entstellen. In den Jahren der Modernisierungswelle, wo man lieber auf Baumarkt-Ästhetik setzte als das Individuelle und Historische wertzuschätzen, ist leider viel verloren gegangen. Ich versuche immer zu erklären, warum es sich lohnt, etwas Altes zu erhalten oder auch ein bisschen mehr auszugeben, damit Fassaden wieder schöner werden und warum es dem Stadtbild guttut. Die Verwaltungsstrukturen und die vielen Grenzen sind natürlich ein Hindernis, aber das wirkt sich weniger auf den persönlichen Umgang mit den Menschen aus. Da gibt es regen Austausch rauf und runter, links und rechts vom Rhein. 

Was braucht das Mittelrheintal?

Gestaltungswille und Unternehmungslust. Einfach mal Dinge ausprobieren, weniger alles von Anfang an zerreden oder mit Einwänden belegen. Ausprobieren, Erfahrungen sammeln, anpassen und weiterentwickeln. Das braucht das Tal.  Gemeinsamkeiten finden, stärker Vernetzen, ein Leerstandsmanagement, eine Vision für das Rheintal, die auch baulich das Schlimmste verhindert. Noch mehr Investorenarchitektur oder Zahnarztkuben will keiner sehen. Auch der Autoverkehr müsste, wie mittlerweile in den hübschen italienischen Städtchen üblich, aus den Innenstädten verschwinden, zumindest zu bestimmten Zeiten. Dadurch gäbe es mehr Raum für Außengastronomie, ein großer Anreiz für Wirte und Gäste – auch für die einheimischen Gäste. Wir können hier ein mediterranes Flair in die Städte zaubern. Wir müssen es nur wollen und machen.  Natürlich kann man die an vielen Stellen autobahnähnliche B9 besser und menschenfreundlicher gestalten. Planungen gibt es ja schon dafür. 

Was planst du konkret in Bacharach?

Zunächst einmal konnte ich hier in kürzester Zeit ein fantastisches Netzwerk aufbauen, weil es viele willige und fähige Menschen gibt, die ebenfalls Dinge anpacken wollen. Mit diesen sehr engagierten Akteuren, die den Mittelrhein mindestens genauso lieben wie ich, möchte ich einige Events als Testballons starten. Zuerst werden wir am 2. September die Wein-Lounge Bacharach in der Wernerkapelle eröffnen. Wir haben 7 Jungwinzerinnen und -Winzer aus dem gesamten Rheintal eingeladen, die an diesem fantastischen Ort ihre hervorragenden Weine präsentieren. Wir bieten die Möglichkeit, das Symbol der Rheinromantik bei einer lauen Spätsommernacht zu genießen. Bacharach hat viele Orte, die einem eine Großstadt nicht bieten kann, aber die Wernerkapelle toppt alles nochmal um Längen.  Der nächste Testballon wird in der sogenannten „toten“ Jahreszeit gestartet, und das ist wörtlich gemeint. Tod, November und Bacharach ergeben die perfekte Kulisse für unser erstes “Gothic Literature Festival”. In Anlehnung an die beliebte Schauerromantik des frühen 19.Jahrhunderts planen wir neben kleineren Lesungen und Erkundungen der düsteren Seite Bacharachs unser Hauptevent in der stimmungsvollen Peterskirche. Der Schauspieler Roland Jankowsky, bekannt als Kommissar Overbeck in der ZDF-Serie „Wilsberg“, wird aus Mary Shelley’s “Frankenstein” vorlesen, dem Klassiker dieses Genres. Mary Shelley, die natürlich mehrmals durchs Rheintal gereist ist, war jedes Mal begeistert von dieser einmaligen Landschaft und hat sich von der damals düsteren Schönheit inspirieren lassen. 

Wir sind ja hier unter uns: Was ist dein ganz persönlicher Mittelrhein-Geheimtipp? 

Früher war ich immer etwas frustriert, wenn mir Einheimische auf die Frage geantwortet haben: “Ach, da gibt es so viele schöne Orte”, aber mittlerweile denke ich fast ähnlich. Es gibt wirklich enorm viele schöne Orte am Mittelrhein. Die Schönsten für mich sind aber die mit den Blicken ganz oben aus den Weinbergen ins Tal. Am besten mit einer Burg in der Nähe, einem gut gefüllten Picknickkorb in Reichweite und einem Glas Winzersekt in der Hand, perfekter kann man diesen Sehnsuchtsort kaum genießen. 


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