Staatlich geförderte Projekte und Programme sind am Mittelrhein Segen und Fluch zugleich. Sie bringen viel Geld ins Tal, aber sie funktionieren immer nur zeitlich und örtlich begrenzt, lassen Insellösungen entstehen und schaffen selten eine langfristige Perspektive. Das Mittelrhein-Festival „An den Ufern der Poesie“ ist ein gutes Beispiel. Vor etwa 10 Jahren verfielen Frankfurter Theatermacher um den Regisseur Willy Praml und einige Bacharacher Kultur-Enthusiasten auf die gute Idee, Heinrich Heines „Rabbi von Bacherach“ (so die Originalschreibweise) am literarischen Schauplatz zu inszenieren. Das Experiment klappte, das Programm gefiel, der Plan wurde größer. 2019 organisierten Künstler aus der Metropole und ehrenamtliche Kulturschaffende vom Mittelrhein gemeinsam eine flussübergreifendes Literatur- und Theater-Festival. „An den Ufern der Poesie“ war ein Mix aus Hochkultur und Straßenkarneval, ein unverwechselbares Welterbe-Angebot und neues Markenzeichen für die ganze Region. Es folgten Corona und dann die häufige Mittelrhein-Mischung aus guten Worten und zermürbenden Antragsstrecken. Die für den kommenden Sommer geplante Aufführung ist mittlerweile abgesagt. Wie bei Herzblut-Projekten üblich, spielten auch persönliche Enttäuschungen und Erwartungen eine Rolle, sie führten im Februar zum Rücktritt des ehrenamtlichen Bacharacher Kultur-Beigeordneten Rainald Kauer. Nach Darstellung der Frankfurter Festivalmacher Michael Weber (Regisseur des Theaters Willy Praml) und Werner Heinz (ehrenamtlicher Koordinator vor Ort) lag der zentrale Fehler aber schon viel früher im System: Demnach hatte der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal diesmal nicht die Mittel, um eine hauptamtliche Projektleiterin zu finanzieren, eine entsprechende Stelle war ausgelaufen und durfte nicht nachbesetzt werden. Der Hintergrund seien „finanzieller Belastungen durch die Buga-Vorbereitung“. Es geht um dieselbe Buga, die denselben flussübergreifenden Ansatz verfolgt, die ebenfalls ein urbanes Publikum ins Tal holen möchte und schon bald nach Künstlern für ihre ihre Eventflächen suchen wird. Mittelrheingold hat mit Michael Weber und Werner Heinz über das Festival und seine Zukunft gesprochen.
Das Foto von Michael Weber (l.) und Werner Heinz stammt vom Theater Willy Praml.
Michael und Werner, wann findet das nächste Festival „An den Ufern der Poesie“ statt?
M.W. Das Festival ist abgesagt. Wenn sich die Bedingungen nicht ändern, für immer. Manchmal fallen einem Sprüche aus der Bibel ein, weil keine Sprache es besser fasst: Herr vergib Ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das ist schon fast eine Pointe wie im Kabarett.
Was hat am Ende gefehlt? Welche Unterstützung und wie viel Geld hättet ihr für 2025 gebraucht?
Werner Heinz: Leider haben wir hier nicht den Platz, um die Details auszubreiten. Der entscheidende Unterschied zu den vorausgehenden Festivals in 2019 und 2022 war: Der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal hatte wegen seiner finanziellen Belastungen durch die Buga-Vorbereitung die Trägerschaft des Festivals für 2025 abgelehnt und keine Eigenmittel dafür in seinen Haushalt eingestellt. Und die aus Landesmitteln finanzierte befristete Stelle der Kulturmanagerin war ausgelaufen. Deshalb gibt es beim Zweckverband auch keine personellen Kapazitäten mehr für das Management eines solchen komplexen Unternehmens. Rainald Kauer hatte als zuständiger Beigeordneter im Stadtrat versucht, das Festival für die Stadt Bacharach zu retten und direkt mit dem Staatssekretär Professor Hardeck eine Landes-Förderung verhandelt. Die Stadt Bacharach sollte dafür 2025 noch einmal übergangsweise als Veranstalterin des Festivals firmieren.
Michael Weber: Der sehr sparsam kalkulierte Kostenplan des Theaters für das komplette Festival lag immer zwischen 100.000 und 120.000 Euro. Diesmal waren es 119.000 Euro. Beim Land waren 67.000 Euro beantragt worden, allerdings kam erst im Februar eine Förderzusage über 50.000 Euro. Komplementär dazu musste die Stadt 3.000 Euro Eigenmittel aufbringen. Die beachtliche Differenz zwischen Förderungen und Kosten sollte aus Eintrittsgeldern und Sponsoring / Spenden bestritten werden.
Wer hätte das Risiko getragen?
W.H.: Letztendlich wie all die Jahre zuvor: das Theater. Das ist im freien Kulturbetrieb so üblich. Man kalkuliert ja immer mit Förderzusagen einerseits und Einnahmen aus dem Kartenverkauf, Sponsoren und Spendengeldern andererseits. Und die kommen dann immer erst zusammen, wenn alles im vollen Gange ist. In der Vergangenheit haben wir als Theater immer das Risiko übernehmen müssen. Das mussten wir gegenüber dem Zweckverband als Träger des Festivals unterschreiben! Eine Zumutung, unter der man eigentlich gar nicht erst antreten sollte. Aber die Profession und die Passion, die wir zusammen mit vielen Institutionen, Vereinen und Privatleuten im Welterbetal für die Sache hatten, gab uns immer das Vertrauen: Wird schon gut gehen. Das war jetzt zuletzt nicht mehr der Fall. Denn: Auf solche Risiken lässt man sich nicht blauäugig und naiv ein. Man überlegt immer einen Plan B, falls die Akquise von Sponsoren oder der Verkauf der Eintrittskarten nicht so entwickeln, wie man das kalkuliert hat. Auf solch ein Vorgehen kann man sich einlassen, wenn man Kooperationspartner hat, auf die man sich verlassen kann. Die zusammen mit dir Lösungen suchen, wenn sich ein Risiko abzeichnet. Das geht nicht mit misstrauischen Kontrollettis, die vor allem darauf aus sind, dir Fehler und Ungenauigkeiten nachzuweisen.
Am Mittelrhein reden gerne viele Instanzen mit. Wie waren eure Erfahrungen mit den unterschiedlichen Behörden und Organisationen?
W.H.: Die „Instanzen“, mit denen wir formell zu tun hatten, sind überschaubar. Mit der Zusammenarbeit haben sich einige Institutionen etwas schwer getan, andere haben die Idee umso energischer vorangebracht. Von Anfang an hat der heutige Kulturstaatssekretär Professor Hardeck in Mainz – damals noch zuständiger Referent im Kultusministerium für den Kultursommer RLP – uns mit Ideen und Förderungen unterstützt und, soweit wir das beurteilen können, dabei seinen Förderrahmen stets ausgeschöpft Und seit wir 2015 von Peter Keber und dem Bauverein Wernerkapelle mit unserer „Rabbi-Inszenierung“ zu einem Gastspiel nach Bacharach eingeladen wurden, war der damalige Stadtbürgermeister Karl-Heinz Schleis vom ersten Gespräch an mit von der Partie und sorgte persönlich dafür, dass nach dem überaus großen Erfolg des „Rabbi-Projektes“ die Idee von einem „Heinrich-Heine-Theaterfestival im Welterbetal“ tatsächlich angegangen wurde. Rainald Kauer hat später – dann auch unterstützt von Philipp Rahn, dem Nachfolger als Stadtbürgermeister – diese Rolle übernommen. Professor Hardeck griff die Festspiel-Idee sofort mit persönlichem Engagement auf. Er drängte darauf, das Festival über Bacharach hinaus in die Region rechts und links des Rheins zu erweitern und gewann den Zweckverband dafür, die Trägerschaft zu übernehmen. Und er sorgte dafür, dass das Land seit 2020 – leider nur befristet – die Stelle der Kulturmanagerin Sarah Piller beim Zweckverband finanzierte, deren Engagement und Kompetenz für uns von unschätzbarem Wert war.
Anschlussfähig fanden wir auch die Initiative BaKaLoNi, die einen Austausch mit gegenseitigen Besuchen und Selbstdarstellungen zwischen Bacharach, Kaub, Lorch und Niederheimbach diesseits und jenseits des Flusses initiiert hatte. Die BaKaLoNi-Kontakte mündeten bereits 2019 in Aufführungen und z.T. eigens für diese Gemeinden entwickelten Inszenierungen in den vier benachbarten Mittelrhein-Orten. Das hat uns begeistert und es hat uns überzeugt, dass sich unser durchaus sehr großer Aufwand lohnte. Wofür in diesem Interview leider kein Platz ist: eine Darstellung der großen Gemeinde von Unterstützerinnen und Unterstützern unterhalb der hier angesprochenen „Instanzen“. All die Firmen, Weingüter und Gastronomiebetriebe, Vereine, Clubs, Familien und Einzelpersonen, die alle auf ihre Weise enorm zu dem Festival beigetragen haben. Aber: all dieses Engagement braucht, damit sich sein Potenzial überhaupt entfalten kann, eine tragfähige, zuverlässige und belastbare Trägerstruktur, ein koordinierendes Management und eine auskömmliche planungssichere finanzielle Basis.
M.W.: Es ist in gewisser Weise tragisch: Trotz des überaus großen Engagements vor Ort wurde eben diese Struktur in den zehn Jahren unseres Welterbetal-Theaterfestivals von den „Instanzen“ nie in Angriff genommen. In diesem Jahr wurde uns sogar angetragen, doch das Festival-Programm auf eine Platzhalter-Inszenierung zu schrumpfen und später, wenn man vielleicht Fördergelder aus dem AllerLand-Programm der Bundeskulturstiftung einwerben würde, einen neuen Anlauf zu unternehmen.
Wie wichtig war Rainald Kauer für das Projekt und wie abhängig war es von ihm?
W.H.: Rainald Kauer verfolgte eine längerfristige Vision für das Festival; es sollte sich zum Kulturbeitrag der Region im Rahmen der Buga 2029 entwickeln, und er hatte die mit der Buga-Planung befassten Instanzen bereits von dieser Idee und ihrem Potenzial für die Region überzeugt. Nach der Absage des Zweckverbandes für 2025 hat er die erforderlichen Beschlüsse in den Stadtrat eingebracht und dort Zustimmung erhalten; er hat die Kosten- und Förderanträge mit dem Kulturstaatssekretär in Mainz verhandelt und unter den vorgefundenen Rahmenbedingungen das fast Optimale herausgeholt; er hat die unterstützenden Ressourcen in Bacharach wiederbelebt und eine erfolgversprechende Spenden- und Sponsoring-Kampagne gestartet. Kurzum: Er hat versucht, die immer noch fehlende Organisationsstruktur vor Ort durch allergrößten persönlichen Einsatz ehrenamtlich zu kompensieren. Sein Engagement wurde von den „Instanzen“ in der Bacharacher Stadtregierung offenbar nicht loyal und lösungsorientiert flankiert, sondern, wie wir das wahrgenommen haben, misstrauisch kontrollierend erstickt. Mit seinem Rücktritt haben wir unseren Ansprechpartner in der Stadt verloren.
Das Festival hat Begeisterung ausgelöst. Allerdings gab es auch kritische Stimmen. Manche fanden es zu schrill, zu modern, zu abgehoben. Muss Kultur am Mittelrhein volkstümlich sein?
M.W.: Gibt es am Mittelrhein ein anderes Volk als anderswo? Als in Frankfurt z.B., wo wir ansonsten Theater machen? Ich gehe immer davon aus, dass ich nicht klüger bin als unser Publikum, also das Volk. Und volkstümlich ist für mich ein Theater, das in seiner Zeit agiert, das sich den brennenden Fragen stellt, die uns alle angehen,weil wir ja alle zur gleichen Zeit leben. Es wäre arrogant, am Mittelrhein ein Theater zu machen, das ein Volk behauptet, das 60 Jahre zurückgeblieben wäre. Oder sogar hinterm Mond lebt. Es sei denn, Elon Musk fliegt demnächst zum Mond, um sich eine Villa zu bauen, wenn der 3.Weltkrieg tobt, und er findet dort ein paar Mittelrheintaler vor, die schon vor ihm da waren. Dann würde ich mich im Übrigen für ein Mittelrhein-Theaterfestival auf dem Mond bewerben.
Wie geht es für euch jetzt weiter?
M.W.: Wir haben ein Theater in Frankfurt. Das Festival am Mittelrhein haben wir immer neben unserem Spielplan am Main gestemmt. Es gibt jetzt natürlich durch den Ausfall ein Loch in der Theaterarbeit. Unsere Spielstätte Naxoshalle ist mit anderen Projekten belegt und die für das Festival gebuchten Künstlerinnen und Künstler finden wohl auch nicht sofort Ersatz für den Zeitraum des Festivals. Abfindungen wird es keine geben. So ist das: Lauter Löcher im Käse. Und im Herzen gibt es auch ein Loch. Weil wir mit ganzem Herzen dabei waren. Adieu!
Foto des Tages
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Schade, das das Theater in Bacharach gestorben ist. Was wollen wir dem Besucher 2029 außer Leerstand denn zeigen? Ich hätte das Projekt gerne mit einer Spende unterstützt.
Grüße
Ich bin entsetzt und zutiefst traurig. Ein herber Verlust für Bacharach, den die BUGA nicht wird ausgleichen können.
Leider kann ich das Festival finanziell nicht ermöglichen.
Sehr traurige Unkulturnachrichten aus Bacharach-ein so wichtiges begeisterndes Theater in unserer Stadt, vom vielbeschworenen „authentisch“ ganz zu schweigen. Was können wir tun?