Bacharach ist nicht Bad Wiessee, aber , aber nach einem SWR-Bericht könnte das Obere Mittelrheintal bald vor ähnlichen Problemen stehen wie Tegernsee oder Sylt: Zu viel Tourismus und zu viele Ferienwohnungen vernichten Wohnraum, verdrängen Einheimische und schädigen den lokalen Einzelhandel. Diese These vertritt Bacharachs ehrenamtlicher Beigeordneter Rainald Kauer (CDU). O-Ton: „Wenn man nur noch Tourismus oder verstärkt Tourismus hier in Bacharach hat, wird die Infrastruktur leiden. Das heißt, der Bäcker, der Metzger, Friseur, Ärzte, andere Geschäfte werden abziehen.“ Die Äußerung überrascht u. a. deshalb, weil es in Bacharach seit Jahren keinen Metzger mehr gibt. Aber es ist interessant. Im Kern geht es um 2 unterschiedliche Zukunftskonzepte für das Tal. Kauer neigt zu einer Art Vorort-Modell, wonach sich die Rheingemeinden zu pendler- und autogerechten Wohn- und Schlafstätten entwickeln müssen, bewohnt von gut verdienenden Fach- und Führungskräften, die ihre Altstadthäuser saniert und im Erdgeschoss eine Garage eingebaut haben. Von dort aus – so die Idealvorstellung – fahren sie an ihre sicheren Arbeitsplätze in Mainz, Ingelheim, Simmern oder Koblenz und bringen so Geld nach Hause, dass der Einzelhandel am Ort blüht. In dieser Welt ist Mittelrhein-Tourismus möglich, aber er darf nicht stören. Es ist der Versuch, möglichst viel Reihenhaus-Normalität in eine grundsätzlich komplizierte und geografisch außergewöhnliche Region zu bringen. Im Gegensatz zum „Modell Vorort“ steht das „Modell Vielfalt“, das die Besonderheiten des Tals eher betonen als abschleifen will. Nach dieser Lesart ist das Mittelrheintal so weit von venezianischen oder mallorquinischen Zuständen entfernt, dass es keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen Tourismus und Wohnqualität gibt. Im Gegenteil: Gäste und Einheimische haben dasselbe Interesse an lebendigen und attraktiven Orten mit Gastronomie, Läden und Sehenswürdigkeiten – zumal jeder Anwohner ein paar Rheinkilometer weiter selbst Gast ist. Wie sich wenig Tourismus am Mittelrhein anfühlt, weiß man. Das Modell wird jedes Jahr im Winter erprobt. SWR (Video mit Kauer-Statement)
Foto: Andreas Jöckel / Buga 2029
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Sehr treffend beschrieben.
Vielfalt und Tourismus sind die einzigen möglichen Modelle für eine Wohnstadt am Mittelrhein, die immer weiter weg rückt vom Wirtschaftsraum Rhein Main, weil der Verkehr stetig zunimmt und immer neue Geschwindigkeitsbeschränkungen die Pendelzeiten stetig erhöhen. Es braucht schon viel Idealismus, sich diesem Modell zu stellen. Ich bin jedenfalls deshalb weggezogen.
Wie seit Jahrhunderten muss der Rhein die Menschen ernähren. Das kann heute nur noch der Tourismus.
Und von Massentourismus ist der Mittelrhein weit entfernt.
Wenn Menschen aber sich dem Tourismus stellen und partizipieren, ein Haus erwerben, sanieren, vermieten und betreuen, dann hält das Menschen in der Region. Es entstehen Verdienstmöglichkeiten, die Gäste müssen schließlich umsorgt werden.
Wer sonst, als Kleinunternehmer mit Ferienwohnungen sollte das leisten? Genug Leerstand gibt es in jeder Ortschaft. Und große Projektentwicklungen habe ich in den letzten 40 Jahren nicht gesehen.
Zu „Achtung, sie betreten touristisches Gebiet“
Es ist gut zehn Jahre her, als ich von der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe den Auftrag erhielt, ein touristisches Konzept zu entwickeln. Schnell war klar, dass der Tourismus in Bacharach & Co. nur eines von vielen Herausforderungen von Bacharach und der in der Verbandsgemeinde war. Leerstände, verfallene Häuser, abwanderndes Gewerbe, abwandernter Einzelhandel und Bewohner, zum Teil hochverschuldete Kommunen, und andere Zeichen des Verfalls kennzeichneten die Lage. Daher befasste sich auch fast die Hälfte meines touristischen Entwicklungsgutachtens mit den Misständen der Ortsentwicklungen in Bacharach und der Verbandsgemeinde. Neben Vorschlägen zur touristischen Entwicklung empfahl ich in Vorträgen vor den politischen Gremien und in meinem Gutachten dringend, integrierte Ortsentwicklungsplanungen voran zu treiben, um den Negativtrend zu stoppen und um eine sinnvolle, zukunftsfähige Entwicklung der Orte voran zu gewährleisten. Integriert, das meint Tourismus, Handel, Gewerbe, Einwohner, Arbeitsplätze, Wohnen, Kultur, Vereine, Jugend usw. usw.
Dem ist man damals leider nicht gefolgt. Mit vielen Landesmitteln wurde eine Agentur beauftragt. Nicht aber, um den anstehenden, offensichtlichen Problemen von Bacharach & Co. fachlich zu begegnen, sondern um in einer groß angelegten Öffentlichkeitskampagne sollten die Einwohner in die Lage versetzt werden all diese fachlichen und spezifischen Problemen in ehrenamtlichen Arbeitskreisen selbst zu lösen. Ein gewaltiger Irrtum, denn das Ehrenamt ist bei solchen spezifischen Themen wie Ortsplanung, Gewerbeansiedlung, Investorensuche für Hotelneubauten oder beim Thema Fachkräftemangel einfach überfordert. Zwar herrschte damals eine große Aufbruchstimmung unter der Bevölkerung, und die ehrenamtlichen Arbeitskrieise gingen sehr engagiert zur Arbeit. Doch das ebbte sofort ab, als die beauftragte Agentur die Arbeit einstellte, als die Landesmittel verbraucht waren. Damit keine Missverständnisse entstehen: Das Ehrenamt ist eine wichtige Stütze in vielen Bereichen unseres Lebens. Aber es muss bei solchen hochkomplexen Planungen scheitern. Und es wird bei den engagierten Bürgern von damals wohl mehr Frust hinterlassen, als Begeisterung. Es wäre sicher sinnvoll, wenn man sich in Bacharach und in der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe noch mal einen zweiten Anlauf nehmen würde. Fördermittel einholen und die Ortsentwicklungen unter fachlicher Anleitung und zukunftsorientiert planen. Mit der Bevölkerung, aber mit fachlicher Moderation und einer fachlichen Begleitung bei der Umsetzung.